
Ina Herkenhoff
Flöte, Gitarre, Klavier


Im Interview mit Laila Kirchner
30. Oktober 2024
Laila: Wusstest du schon immer, dass du Linkshänderin bist?
Ina: Das allererste Erlebnis, wo ich ganz deutlich gemerkt habe, dass in der Richtung, wie ich denke und wie ich empfinde, etwas ganz grundlegend anders ist, das war in der musikalischen Früherziehung, als ich drei Jahre oder vielleicht sogar noch jünger alt war. Ich habe mich so darauf gefreut auf den Tag, an dem wir endlich ans Klavier durften. Wir durften die Tasten drücken – ich konnte die Tasten geradeso sehen – und ich habe dann zu der Lehrerin gesagt: „Wo sind denn die Tasten, die richtig rum gehen?“ Also, ich habe die gedrückt und hab gedacht: Wann kommt denn die richtige Richtung? – Es ging ja immer tiefer in die Richtung, wo ich es aber höher zu gehen glaubte. Da gucken mich alle an und die anderen Kinder, die probierten, dachten: Ach so? – und ich merkte: Die verstehen nicht, was ich meine… – Ich habe darauf gewartet, dass einer mich bestätigt und sagt: „Ja, irgendwie geht das nicht richtigrum!“ – Ob das jetzt mein Instrument wird? – Das war die erste Enttäuschung.
Der zweite Moment, wo es mir sehr aufgefallen ist, war beim Schreibenlernen bei der Vorschularbeit mit meinem Vater. Ich kann mich daran erinnern, dass meine Eltern mich erst gelassen haben, mal so, mal so, wie man halt so hantiert als Kind. Als es in Richtung Schule ging, habe ich einen Druck gefühlt von meinem Vater, der dann sagte: „Jetzt mach es doch mal so rum! Wenn du deinen Namen schreibst, dann musst du links anfangen und in diese Richtung schreiben.“ – Ich denke, die meisten von uns Linkshändern werden vielleicht intuitiv von rechts nach links geschrieben haben. Die Richtung war für mich noch ein größeres Problem als tatsächlich die Händigkeit. Ich hätte wahrscheinlich lieber mit links geschrieben, aber mit rechts war es für mich eigentlich irgendwie auch ok. Es ging mit beiden Händen einigermaßen gut. In der Schule war es dann katastrophal mit dem Schreiben unter Druck.
Hast du das Schreiben dann irgendwann in der Schulzeit umgelernt oder bist du bei rechts geblieben?
In den Sommerferien beim Wechsel von der vierten in die fünfte Klasse habe ich mir den rechten Arm gebrochen und bin dann quasi mit Gipsarm rechts in die fünfte Klasse eingeschult worden. Ich konnte nur mit links schreiben und habe gemerkt, ich kann mich konzentrieren, es wird plötzlich alles ruhig um mich herum und in mir. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, in Mathe plötzlich besser zu werden oder etwas zu verstehen. Ich habe innerlich gehofft, es würde vielleicht auffallen und jemand würde mich daraus erlösen. In meiner Euphorie habe ich gesagt: Ab jetzt schreib ich nur noch mit links, denn guckt mal, wie gut das geht! – Ich weiß noch, dass die Lehrer bemerkt haben: Tatsächlich, die Ina kommt gut klar, erstaunlich gut mit links. – Obwohl es natürlich langsamer war.
Meine Eltern waren entsetzt: „Nein, bist du verrückt geworden?! Du schreibst schön wieder mit rechts!“ – Und irgendwie habe ich es dann so gemacht und mich ihren Erwartungen gebeugt.
Wir hatten Linkshänder in der Klasse, die von Anfang an mit links geschrieben haben. Aber das waren halt solche Kinder, die von Anfang an auch mit links die Gabel gehalten haben und sich wahrscheinlich nur mit links die Zähne putzen konnten.
Ich glaube, dass wir Musiker mit einer größeren sensomotorischen Begabung auf die Welt gekommen sind und es demzufolge auch als Linkshänder leichter haben, mit rechts feinmotorische Dinge zu tun. Vielleicht passiert es bei solchen Kindern leichter, dass sie umgeschult werden und sich auch selbst umschulen lassen, weil sie denken: Es geht ja. Warum denn dann nicht?
Entsprechend hast du auch deine Hauptinstrumente dann erst einmal auf die konventionelle Art gelernt?
Ja, die Blockflöte habe ich als mein erstes Instrument rechtshändig gelernt. Ich weiß aber noch, dass mein Lehrer die Krise gekriegt hat mit mir, weil ich immer ganz stark geblasen habe. Ich habe meinen Blasdruck nicht richtig regulieren und fühlen können. Er hatte dann irgendwann mal gesagt: „Ina, mein Gott, du bläst ja, dass die Fensterscheiben rausfliegen!“ Ich habe auch die Hände oft vertauscht und irgendwann stand er vor mir und hat gesagt: „Was mach ich denn jetzt mit dir? Verdammt nochmal! Jetzt musst du dich entscheiden! Bis du jetzt doch Linkshänderin? Manchmal weiß ich das bei dir nämlich nicht.“ Und dann saß ich da so und dachte: Ja, doch, ich glaub, ich bin Linkshänderin, aber ich schreib mit rechts. – Es blieb dann bei der Blockflöte bei rechts, weil im Gespräch war, dass ich ja auch Altblockflöte oder andere Blasinstrumente lernen könnte. Die gab es Mitte der 1980er Jahre wahrscheinlich noch nicht in linkshändiger Version.
Bis heute habe ich eine Schwäche für das rhythmische Erleben, für das Zählenkönnen. Einfach Zählen kann man, aber es geht ja darum, dass du es empfindest. Und das ist immer noch nicht so, wie es sein könnte. Aber es hat sich durch die Rückschulung schon deutlich verändert.


In welchem Alter hast du denn deine Instrumente umgelernt?
Ich habe umgelernt im Alter von 34 Jahren. Da war mein Sohn so anderthalb Jahre alt. Ich war gut ausgelastet mit einem Wickelkind, mit dem Stillen, schon wieder am Unterrichten, mit wenig Schlaf und allem, was dazugehört. Ich glaube, mein Gehirn hat dann irgendwann gesagt: „So, ich bin am Ende!“ In einer Situation war ich mit meinem Sohn im Kindersitz neben mir auf der Autobahn unterwegs. An einer Stelle wurden Bäume beschnitten und der Verkehr wurde mit blinkenden Schildern auf die Nebenspuren umgeleitet. Auf jeden Fall hat mein Gehirn offensichtlich komplett die verkehrte Richtung genommen und ich bin mit Vollgas da reingefahren. Fast hätte ich die Baumarbeiter alle totgefahren. Ich habe noch eine Vollbremsung gemacht, wusste nicht, was passiert war, und saß total geschockt da. Rückblickend habe ich gedacht, mein Gehirn hat es nicht mehr auf die Kette gekriegt und komplett das Gegenteil gemacht. Während dieser Zeit fing ich an, in meiner Sprache Dinge zu vertauschen, also oft unwillkürlich das Gegenteil zu sagen. Ich habe wirklich gedacht, ich werde verrückt! Anstatt „unterrichten“ sagte ich „überrichten“ und anstatt „abspülen“ „aufspülen“. Ich habe dann tatsächlich eine Psychologin angerufen und ihr erzählt, dass sich mein Gehirn anfängt zu verselbständigen. Sie sagte: „Nein, das ist keine Psychose, die sich da andeutet, und nichts Krankhaftes. Besorgniserregend wäre es, wenn Sie anstatt „unterrichten“ „Teppich“ sagen würden oder so. Sie sagen ja offenbar das Gegenteil. Also irgendwas muss es mit einem Gegenteil zu tun haben.“ Ich habe noch immer gedacht, irgendwie liegt es an meinem Gehirn… Dass es an den Händen liegen könnte, war mir noch nicht bewusst.
Als ich kurz darauf meinen Sohn wickelte, fingen meine Hände an, sich zu verkrampfen und so zu verdrehen, dass ich dachte: Ich folge jetzt einfach diesem Impuls. Was wollen meine Hände machen? – Es war unfassbar und ich habe echt angefangen zu heulen, weil ich dachte: Okay, du musst das umdrehen, du musst es jetzt umdrehen! – Die erste Handlung, die ich anschließend gemacht habe, war für den geplanten Kartoffelbrei die Muskatreibe so zu benutzen, dass ich mit links gerieben habe. Wie fühlt sich das an? Was macht das mit der Atmung? – Ich habe gemerkt: ganz klar, mit links habe ich einen ganz anderen Stand. Ich führte einfach nur diese Tätigkeit aus und konnte währenddessen atmen. Mit rechts dachte ich die ganze Zeit: Wann ist das endlich vorbei? Wann kann ich das Ding endlich weglegen?
An dem Abend habe ich noch angefangen, mit links zu schreiben, und direkt gemerkt: Ich muss das machen! – In dem Moment, in dem das ja wirklich aus einer kognitiv-neurologischen Notsituation heraus entstanden ist, habe ich erstmal nur an das Schreiben gedacht.
Ich habe immer schon die Querflöte auch mal nach links gehalten und geblasen und habe auch mit meinem Ex-Partner, der Gitarrist an der Musikschule ist, experimentiert. Ich habe ihm auf der Rechtsflöte beide Seiten demonstriert und gefragt: „Wie wirkt es auf dich, wenn ich links blase? Das wirkt doch authentischer, oder?“ Er antwortete: „Das stimmt, da ist was dran! Der Klang ist schön und lädt zum Mitspielen ein.“ Das hat er auch als rechtshändiger Musiker bemerkt.
Ich habe dann im Internet schnell die Viento-Flöte gefunden und hab mir direkt die mit Silberkopf bestellt. Schnell war mir klar: Das ist es! Die Flöte hat mich nicht vom Hocker gerissen, weil sie natürlich nicht mit einer handgemachten Vollsilber-Flöte vergleichbar ist. Aber es war ganz klar: Egal, was daraus wird, ich möchte nur noch so spielen und nicht mehr anders! – Ob ich jemals nochmal etwas Virtuoses spielen können würde, war mir völlig egal gewesen in dem Moment: Es reicht mir aus, wenn ich vielleicht nur noch fünf Mantren spielen kann auf diesem Instrument bis an mein Lebensende, dann würde mich das glücklich machen! Denn mein Atem fließt, ich fühle beide Füße auf der Erde und fühle mich in alle vier Himmelsrichtungen so ausgerichtet, wie sich das für einen Menschen eigentlich auch gehört. Erst recht für einen Menschen, der auf einer Bühne stehen möchte und dort etwas spielt, etwas teilt und gibt. Denn wenn das Spiel nur dressiert und mühsam trainiert ist, hat es weder Hand noch Fuß.
Wie war dieser Umlernprozess für dich? War das schwierig und hattest du irgendwelche Hürden?
Ich habe gemerkt, dass ich nach links ehrlich gesagt die gleichen Fehler mache und die gleichen Baustellen habe, wie ich sie auch rechts schon hatte. Es war ein Prozess, der manchmal phasenweise sehr zäh und langsam verlief und dann gab es plötzlich wie so einen Exponential-Sprung. Plötzlich lief es und ich dachte: Wow, wo kommt das denn jetzt her? – Insgesamt verlief der Lernprozess exponentiell in Stufen und nicht wie beim ursprünglichen Erlernen des Instruments.
Diese Entwicklung in Stufen oder Sprüngen kann ich gut nachvollziehen. Das habe ich selbst auch so erlebt.
Beim Umlernen am Klavier habe ich das genauso erlebt wie bei der Flöte. Das hatte sich auch sprunghaft verbessert.
Wenige Wochen, nachdem ich mit der Querflöte und Blockflöte begonnen hatte, umzulernen, drehte ich auch die Gitarre um, was ich nur meiner Stimme zuliebe tat. Meine Kehlkopfsenkung und meine Atmung sind einfach ganz anders, als wenn ich rechtsherum spiele. Linksherum ist es sehr viel stressfreier und entspannter, weil die Muskeln endlich mal das machen dürfen, was sie machen wollen, so vom inneren Kompass her.
Leider liegen die Saiten auf meiner neuen Linkshänder-Gitarre sehr hoch, sodass meine rechte Hand beim Greifen oft verkrampft. Das war beim Rechtsspielen vorher anders. Aber ich kann so einfach besser atmen und fühle mich auch auf der Bühne damit wohler. Daher bereue ich es auf gar keinen Fall! Ich würde nichts wieder jemals tauschen wollen!


Das Klavier wollte ich eigentlich nicht abgeben. Seit ich auf der Welt bin, würde ich sagen, habe ich das Klavier als Instrument so sehr geliebt und ich glaube, ich hätte am liebsten das Klavier als mein Instrument gewählt, wenn es das damals in der Musikschule, an der ich sozialisiert wurde, gegeben hätte mit meiner bevorzugten Richtung. Ich habe immer sehr gern gespielt und dann passierte es, dass ich abermals neurologische Ausfallerscheinungen hatte. Also, ich habe immer angefangen zu stottern oder auch wieder diese Verdrehung in der Sprache bekommen, wenn ich beim Unterrichten viel am Klavier begleitete. Eine Schülerin hat mich darauf aufmerksam gemacht die damals ihr Freiwilliges Soziales Jahr in einem Sozialpädiatrischen Zentrum gemacht hatte. Sie sagte: „Ich glaube, das hat damit zu tun, weil du das mit dem Rechts–Links hast!“ Ich habe dann mehr darauf geachtet und gemerkt: Tatsächlich, das könnte sein. Aber, was hilft es mir? Es gibt kein Linkshänder-Klavier. Ich brauch mich gar nicht darum zu bemühen diesen Gedanken weiter zu denken…
Als ich linksseitig einen Hörsturz bekam, merkte ich, dass das mit dem Klavierspielen zusammenhing. Irgendwas daran stresste mich und mein Gehirn offenbar so, dass schon wieder irgendwas in meinem Kopf sagte: Stopp, da geht es nicht mehr weiter! – Ich habe das Klavierspielen dann eine Weile gelassen und meinen Schülern auch gesagt, warum. Nachdem sich mein Ohr wieder komplett erholt hatte, habe ich es ganz vorsichtig wieder versucht, rechtsseitig. Dabei habe ich genau gespürt, was mit meiner linken Körperseite passiert, wenn ich das tue. Es entsteht irgendwie Stress in diesem Bereich. Es hatte mit den Händen erstmal gar nichts zu tun. Die haben keine Verspannungen gehabt. Der Linkshänder-Berater, der mich beim linkshändigen Schreibenlernen begleitet hatte, kannte Ulrike Scheuchl und hat mich mit ihr bekannt gemacht. Durch sie habe ich den Keyboard-Mirror zum Spiegeln der Klaviatur kennengelernt.
Das war so aufregend! Wenn man so mit diesen ganzen Apparaten mit so Klinkenkabeln dasaß und dann diesen Keyboard-Mirror anschaltete und plötzlich hatte es die richtige Richtung! Ich dachte: Wow, dass es das in diesem Leben in dieser Welt für mich gibt! – Das war wirklich wie Geburtstag, Weihnachten, Silvester und alles zusammen. Ich habe Kinderlieder gespielt. Alle einfachen Volks- und Kinderlieder. Ich bin dann stolz damit in die Musikschule und habe es meinen Schülern gezeigt und die waren begeistert: „Hey, cool! So was geht? Und du kannst darauf schon spielen!“ Interessant eigentlich, man denkt nicht drüber nach, es ging einfach mit Leichtigkeit. Seitdem bin ich dabeigeblieben.
Ich könnte gar nicht mehr auf einem anderen Klavier spielen. Wenn ich mal einen Klavierkollegen vertreten muss, dann muss ich mich halt so ans Klavier stellen, dass ich von oben drauf gucke, um es den rechtshändigen Kindern dann zeigen zu können. Und selbst dabei habe ich manchmal gedacht: O Gott, mein armes Gehirn! Das macht mich völlig kirre!
Das ist sehr spannend! Besonders, weil du ja schon als kleines Kind den Eindruck hattest, dass für dich etwas falschherum ist.
Genauso erging es mir schon immer mit den Buchstabenanordnungen von Computertastaturen oder den Zahlenblöcken auf Taschenrechnern. Sie waren immer unlogisch und umständlich für mich. Als nächstes möchte ich mal das Spiel von gespiegelten Noten ausprobieren.
Manchmal wünschte ich mir, ich könnte mich einfach mal an ein Rechtshänderklavier setzen und nochmal das spielen, was ich konnte. Aber ich brauche mir nur einen Akkord vorzustellen, dann bekomme ich Schwindel und verliere ein bisschen die Orientierung im Raum. Ich werde wirklich auch auf meinen Beinen unsicher dadurch. Ich finde es gut, dass ich das jetzt alles mit links mache und bin auch total glücklich damit. Im Unterricht ist es interessant, dass das den Schülern meistens gar nicht auffällt, dass ich links spiele. Letztens noch sagte eine Schülerin, die schon Jahre bei mir ist und auch den Wechsel mitbekommen hatte: „Ach ja, du spielst ja links!“ Sie hatte es vergessen, weil es stimmig aussieht, wenn ich so spiele.


Steht ihr euch gegenüber und sie können dich spiegeln, oder steht ihr auch manchmal nebeneinander?
Meistens stehe ich tatsächlich neben den Schülern und wir gucken aus einem Notenständer. Bei rechtshändigen Schülern gehen die Flöten nach außen voneinander weg. Ich habe aber inzwischen auch viele linkshändige Schüler und da ist es dann nicht ganz so komfortabel, weil wir ja in die gleiche Richtung spielen.
Das heißt, du unterrichtest die Linkshänder auch konsequent linksherum?
Ja. Ich muss sagen, dass es hier wirklich ganz toll zu funktionieren scheint, weil wir einen Schulleiter hatten, der mich mit dieser Sache freigelassen aber gleichzeitig auch ernstgenommen hat. Er hatte wohl einfach gedacht: Ja, lass die Ina mal machen. Sie wird ja einen Grund haben. – Ich glaube, er hat verstanden, dass das keiner einfach nur macht, weil er aus der Rolle fallen möchte, weil er irgendwie zu viel Geld hat oder so: Wenn die jetzt so viel Energie da reinsteckt, dass sie sich eine neue Flöte kauft, dass sie alles umlernt, dann muss was dran sein, dann zieh ich mit, dann besorge ich ihr dieses Linkshänder-Piano! – Und so einen rollbaren Ständer hat er extra besorgt, damit ich das E-Piano immer in jeden Raum im Erdgeschoss mitnehmen kann.
Inzwischen haben wir vier Linkshänder-Querflöten hier in der Musikschule. Ich hatte tatsächlich letztes Schuljahr noch eine Gruppe mit fünf Kindern, von denen vier linkshändig und einer rechtshändig waren. Jetzt gerade habe ich insgesamt fünf linkshändige Querflöten-Schüler.
Hast du linkshändige Schüler, die du erst auf einer Rechtsflöte unterrichtet hast und die dann, nachdem du selbst auf die Linksflöte umgestiegen bist, auch umgelernt haben?
Ja, tatsächlich. Eine Schülerin, die ist jetzt 17, hat mit mir zusammen umgelernt. Sie war ungefähr 10 oder 11 Jahre alt und spielt, seitdem sie sechs ist. Sie hat auch rechtsseitig gut gespielt.
War das ihr eigener Impuls oder Wunsch, auch umzulernen?
Es war zunächst nicht ihr Impuls, aber es hatte etwas mit der Atmung zu tun. Sie hatte nie genügend Luft für lange Töne. Einmal habe ich gesagt: „Wenn du magst, probiere doch mal aus, auf meiner Flöte zu spielen. Ich glaube, das geht darauf besser.“ Dann hat sie das gemacht und gesagt: „Stimmt, der Ton ist besser und mit der Luft ist es auch besser. Aber ich möchte trotzdem auf der anderen Flöte spielen.“ Daraufhin habe ich vorgeschlagen: „Wir können es ja einfach immer mal probieren und du guckst dann einfach.“ Dann habe ich die Mutter mit ins Boot geholt und sie hat dann mal in zwei Stunden daneben gesessen und zugeguckt. Danach hat sie zu ihrer Tochter gesagt: „Guck mal, du wirkst auf mich so, als würdest du dich irgendwie wohler fühlen mit der Linksflöte.“ Die Mutter war also sehr offen für alles und hat dann auch gesagt: „Von mir aus können wir das gerne machen mit einer Linksflöte, wenn meine Tochter das möchte!“ Die Schülerin hat dann gesagt: „Ja doch, das fände ich schon auch besser, denn der Ton ist halt besser!“ Meine Antwort war: „Na, darum geht es ja auch! Alles andere kann man ja nachkorrigieren, aber der Ton sollte erstmal schön und wohlklingend sein und sich in der Erzeugung gut anfühlen!“
Wie lange hat sie denn gebraucht, um wieder auf dasselbe Niveau zu kommen?
Das ging relativ schnell. Ich kann es nicht ganz genau sagen, weil dann auch die Zahnspange dazwischenkam. Ein paar Monate, abzüglich der Zahnspange, denn sie war ja noch recht jung.
Eine andere linkshändige Schülerin von mir hat nicht umgelernt. Sie hatte sich damals in so eine Holzflöte verliebt und die wollte sie unbedingt haben. Ihr Vater war bereit, sie zu kaufen und ich konnte es gut nachvollziehen. Es war ein sehr spezielles, schön klingendes Instrument. Sie hatte das Linksspielen auf meiner Flöte auch mal ausprobiert. Ich glaube, sie hat gemerkt, was das für ein Potenzial hätte, aber hatte wahrscheinlich Angst, dass ihr etwas verloren gehen würde, dass die ganze Arbeit, die sie bis dahin investiert hatte, verloren geht. Sie studiert jetzt Psychologie in Münster und spielt auch immer noch Querflöte. Sie sagte, wenn sie nochmal ein Instrument lernen würde, dann doch gerne von vornherein linksherum!
Hast du irgendwann auch mal von Eltern linkshändiger Kinder Gegenwind erlebt, die nicht wollten, dass ihr Kind linksherum spielt?
Nein, eigentlich nicht. Nur die – wie ich finde – verständlichen Bedenken, dass die Eltern sagten: „Ja, mag ja alles gut und schön sein, aber wenn sie dann doch nicht mehr spielen will. was machen wir dann mit dem Instrument? Dann liegt eine Flöte für 800 € zu Hause rum. Werden wir die dann wieder los?“ Aber von Eltern der definitiv linkshändigen Flötenschüler habe ich nie Gegenwind bekommen. Wenn Flötenschüler mal gewechselt haben, dann haben die halt zum Rechtshänder-Klavier gewechselt. Darauf hatte ich dann keinen Einfluss.





Du unterrichtest auch noch an einer anderen Musikschule?
Ja. Die Leitung dort interessiert sich auch sehr dafür. Sie möchte das aber alles verstehen, glaube ich. Nur, das Verstehen ergibt sich aus dem Erleben heraus. Du musst es einfach machen und fühlen. Was mich dann oft ein bisschen kränkt ist, wenn Argumente kommen, wie: „Ja, ich verstehe das schon. Für mich als Rechtshänder würde das natürlich gar nicht gehen, linksherum zu spielen. Aber wenn ich es von Anfang an so gelernt hätte, würde es ja vielleicht doch gehen.“ Dann denke ich: Ja, selbstverständlich geht es auch! Aber die Frage ist, mit welcher Lust, mit welcher Freude, mit welcher Leichtigkeit? – Wir sagen immer noch: Wir spielen ein Instrument. Wir arbeiten kein Instrument, sondern wir spielen es. Da sollte nichts Schweres drin sein. Natürlich ist ein Literaturspiel irgendwo auch mal schwierig und natürlich bedarf es eines hohen Aufwands. Aber eben genau deswegen sollte das Spiel ja umso leichter sein. Damit man diesem Werk, mit dem man es da zu tun hat, auch gerecht werden kann.
Natürlich ist es verständlich: Da kommt jemand Neues und will gleich am Anfang Besonderheiten. Aber es muss klar werden, dass es um wichtige Erkenntnisse und Erfahrungswerte am eigenen Leib und an den Schülern geht, die es Sinn macht einzusetzen. Es muss klar werden: Das ist sinnvoll und effizient! So erhalten wir uns die Schüler! So haben die Schüler mehr Spielfreude! Es kann eine Musikschule auszeichnen, so etwas anzubieten. Ähnlich wie das Angebot von Instrumenten aus anderen Kulturkreisen oder der Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Wenn wir das Thema ernst nehmen, können linkshändige Schüler auf diese Weise einen bestmöglichen Einstieg ins musikalische Erleben und Gestalten bekommen. Sie können sich bestmöglich entfalten auf einer Basis, die ihnen entspricht, die effizient ist und die ihre Kraft nutzbar macht.
Hast du irgendwelche negativen Reaktionen erhalten, als du umgelernt oder linksherum gespielt hast?
Richtig negative nicht. Natürlich die übliche Skepsis und das Belächeltwerden schon. Wie: „Mein Gott, bist du denn echt so linkshändig, dass du jetzt dein eigenes Klavier brauchst? Ich meine, das steht doch ein Klavier!“ Nur mein Ex-Partner, der hier klassische Gitarre unterrichtet, lässt Linkshänder andersherum spielen und hat das schon vorher so gemacht. Als ich die Umschulung und Rückschulung gemacht habe, hat er es selbst natürlich deutlich mitbekommen, was ihn noch mehr für die Thematik sensibilisiert hat. Er ist eigentlich der Einzige hier an der Musikschule, der das so ernst nimmt. Eine neue Klavierkollegin, selbst Rechtshänderin, hat sich bereits damit beschäftigt und mit mir ausgetauscht. Aber ich weiß nicht, ob sie selbst praktische Konsequenzen daraus zieht.
Haben deine linkshändigen Schüler mal das Linkshänder-E-Piano ausprobiert?
Ja, ich habe eine achtjährige Flötenschülerin, die linkshändig Querflöte lernt und rechtshändig Klavierunterricht bekommt. Sie spielt gut Klavier und ist natürlich auch immer interessiert an dem Linkshänder-E-Piano. Sie darf sich manchmal dransetzen und was spielen und kann wirklich ihre Stücke eins zu eins darauf übertragen. Sie spielt dann auswendig „Die fabelhafte Welt der Amélie“ und „Fluch der Karibik“ – richtig komplexe mehrstimmige Arrangements mit beiden Händen. Ich bin einfach immer nur völlig platt, wenn ich das sehe. Für sie scheint das aber ganz selbstverständlich zu sein. Sie sagt: „Ja, ich weiß auch nicht. So klingt halt das Stück.“ Ich weiß aber, dass sie rechtsseitig weiterspielen möchte, weil sie ganz ausdrücklich sagt, der Klang des akustischen Klaviers gefällt ihr einfach besser. Das kann ich verstehen! Es ist ja leider nicht so, dass man sich mal schnell ein neues Klavier anschafft als Musikschule. Das sind doch schon andere Preise als eine Flöte oder eine Geige. Man bräuchte auch in jedem Vortragssaal dann eigentlich überall beides. Das wäre dann eine wirkliche Gleichberechtigung und dann würde es sich auch lohnen, dass alle Linkshänder linksherum spielen.
Hast du selbst irgendwelche kuriosen Erlebnisse mit dem Linksspielen gehabt?
Doch, eines, das war lustig aber auch unlustig zugleich: Bei einer Veranstaltung in Darmstadt hatten wir einen Soundtrack gespielt. Ich hatte meine Flöte auf den Flötenständer gestellt, da kam eine Frau, die eigentlich mit unserer Musik gar nichts zu tun hatte. Die nahm plötzlich meine Flöte, konnte offenbar Querflöte spielen, und wollte darauf spielen, was ich schon ziemlich unverschämt fand. Man sah an ihrem Gesicht, was sie dachte: Was ist das denn?? Häää?!! – Sie konnte erstmal gar nicht verstehen, was es damit auf sich hatte, denn sie sieht ja erstmal aus wie eine normale Querflöte. Sie hat eine Weile gebraucht, bis sie gemerkt hat, dass die in die andere Richtung gehört, also eine Linkshänder-Querflöte ist. Dann habe ich natürlich des Rätsels Lösung aufgedeckt und dann konnte sie halt auch nicht darauf spielen. Dazu ist es also gar nicht gekommen. Aber ich meine, allein ein fremdes Instrument hochzunehmen, das macht man ja nicht einfach so! Gerade wenn man selbst spielt, dann weiß man das doch!
Hast du denn schonmal linksherum im Orchester gespielt?
Nein. Nur in meinem Ensemble mit meinen Schülern zusammen, welches ich zusammen mit meinem Ex-Partner leite. Es gibt ein Bild, auf dem wir drei linksseitige und drei rechtsseitige Querflöten sind und davor sitzt ein Pärchen von Gitarristen, die auch rechts und links spielen. Wenn unsere Schüler zusammenspielen, gibt es natürlich dann viele Rechts- und Linksspieler nebeneinander. Ansonsten wird hier nur rechtshändig unterrichtet. Deshalb habe ich jetzt angefangen, Linkshänder-Geige zu lernen, um etwas zu streuen. Mein erstes Instrument, welches ich von vornherein linksherum lerne!
Das ist ja eine sehr bunte Mischung an Instrumenten! Blas-, Saiten und Tasteninstrumente.
Vor einiger Zeit hatte ich noch regelmäßig Handpan-Kurse bei einer Trommellehrerin in Köln besucht. Gerne hätte ich mir eine gekauft. Aber immer, wenn wir intuitiv improvisieren oder eine Tonleiter spielen sollten, merkte ich, dass für mich die Richtung nicht stimmt. Die Töne, die ich traf, waren immer andere, als ich erwartete. Ich brauchte es eigentlich andersrum und dann sagte die Lehrerin: „Ja, dann dreh es doch mal um!“ Dann hab ich das Ding umgedreht, sodass ich das tiefe C dann hier hatte, aber dann war es irgendwie alles trotzdem immer noch verkehrt. Ich brauchte wirklich ein Instrument, welches für Linkshänder gebaut ist. Und dann hat sie die tatsächlich in Auftrag gegeben bei einem Handpan-Bauer im Ruhrgebiet und dann mitgebracht zum Unterricht. Ich habe darauf gespielt und fand sie so schön! Ich war so glücklich, denn endlich konnte ich intuitiv spielen und so gut, wie alle anderen auch. Das fand ich toll, dass die Lehrerin sofort reagiert hatte und sich gesagt hatte: Hey, wenn ich da jetzt eine in meinem Kurs habe, die da solchen Wert drauf legt und es werden ja noch mehr Linkshänder kommen, dann frag ich den Hersteller mal, ob er das machen würde. – Und er hat es gemacht! Das muss man ja auch den Instrumentenbauern zugutehalten, wenn die sich dafür engagieren und ihr Handwerk umstellen.
Damit hast du recht. Toll, dass sich sowohl die Trommellehrerin, als auch der Hersteller auf etwas Neues eingelassen haben! Du hast also mehrere Instrumente umgelernt und spielst sie konsequent links. Kannst du Instrumente übergreifend zusammenfassen, was für dich den entscheidenden Unterschied ausmacht?
Ja, ich finde vor allen Dingen – und das sollte allen, die beabsichtigen das zu studieren oder sonst irgendwie professionell zu betreiben, klar sein –, dass das Gefühl auf der Bühne so anders ist. So, so anders! Ich hatte schon immer Freude am Spielen. Ich hatte früher aber viel mit Bühnenangst zu tun. Mit richtig flattrigem Atem und auch mit dem Gefühl, ich muss mich an meinem Instrument festhalten. Und irgendwie auch so eine gewisse Scheu, als würde ich mich verstecken müssen oder als würde ich es richtig machen müssen. Linksherum hingegen merke ich sofort: „Yes, hier bin ich!“
Interview & Fotos Ina: Laila Kirchner
