Das Gefühl, wirklich Musik zu machen – Dirks Umstieg auf die Linkshänder-Trompete
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„Endlich hatte ich das Gefühl, wirklich Musik machen zu können und hinter dem zu stehen, was ich mit dem Instrument aussage. Es war eine neue, bunte Welt, die es zu erkunden galt. Für mich war es so, dass ich endlich dort war, wo ich immer sein wollte, dass ich mich endlich ausdrücken konnte und dass nun endlich alles „gut“ war.“

Wie beschreibst du deine Händigkeit?
Ich bin Linkshänder, was mir allerdings erst kurz vor meinem Studium bewusst wurde. Knapp einen Monat, bevor ich in Trossingen begann, Trompete zu studieren, habe ich begonnen, mit links zu schreiben.
Hast du dein Instrument von Anfang an „linksherum“ gelernt?
Nein, leider nicht. Aber wie gesagt habe ich damals auch in der Illusion gelebt, Rechtshänder zu sein…
Wann hast du umgelernt und weshalb?
Kurz gesagt habe ich es als eine solch große Befreiung erlebt, als ich mit zwanzig angefangen habe, mit links zu schreiben, dass es für mich keine Option mehr war, mich parallel auf dem Instrument weiter zu verbiegen und meine Händigkeit weiter zu unterdrücken.
Und wie lautet die lange Version?
Naja, das ist der lange Weg zu genau dieser Erkenntnis. Der Gedanke, dass ich Linkshänder sein könnte, war nämlich schon viel früher da, ganze drei Jahre zuvor. Damals hatte meine damalige Klavierlehrerin, die selbst umgeschulte Linkshänderin ist, zunächst meine Schwester und später auch mich auf diese Thematik aufmerksam gemacht. Im Gegensatz zu meiner Schwester ergab sich für mich daraus zunächst überhaupt kein Handlungsimpuls.
Nur auf der Trompete hatte ich immer mehr das Gefühl, dass irgendetwas nicht passt: Warum halte ich die Trompete so unnatürlich verkrampft? Warum werde ich so oft von meinem Lehrer darauf hingewiesen, die Tasten endlich einmal vernünftig zu drücken? Und warum gelingt es mir einfach nicht, aus mir herauszukommen? Mit der bestandenen Aufnahmeprüfung an der HfM Trossingen erfüllte sich zwar mein größter Traum, Trompete zu studieren, aber zeitglich wusste ich, dass ich so, wie ich damals war, nicht für ein künstlerisches Studium geeignet war: Ich war verschlossen, gehemmt und irgendwie blockiert. Irgendetwas musste sich ändern!
Während der Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung hatte ich ab und zu versucht, auf meinem Rechtsinstrument mit links zu greifen, und hatte den Eindruck, dass dies die Lösung sein könnte, da alles so viel klarer und natürlicher zu sein schien. Wirklich erleben konnte ich es allerdings aus zwei Gründen nicht: Zum einen liegt eine Rechtstrompete (entgegen der verbreiteten Meinung) linksherum doch relativ unangenehm in der Hand und zum anderen – das war das eigentliche Problem – hatte ich mir über die Zeit angewöhnt, das Mundstück sehr schräg anzusetzen, wodurch ich eine sehr einseitige Haltung entwickelt hatte, die nun ein linksseitiges Spiel erschwerte. Mir war klar, dass ich, um es wirklich ausprobieren zu können, zuerst meinen Ansatz ändern musste… Gesagt, getan. Parallel dazu begann ich auch, mit links zu schreiben.
Naiverweise dachte ich, die Ansatzumstellung würde nicht lange dauern, aber weit gefehlt: In der ersten Unterrichtsstunde des Semesters konnte ich kaum einen Ton spielen. Aus Angst vor Unverständnis traute ich mich auch nicht, die ganzen Hintergründe zu erklären. So wurde mein Studienbeginn mit der Trompete äußerst schwierig, während gleichzeitig durch das Schreiben mit links so viele Knoten platzten und ich total überrascht war, wie viel ich plötzlich mit anderen Menschen redete. Ich fühlte mich richtig gut, nur mit der Trompete lief nichts mehr. Später habe ich mich endlich getraut, meinem Lehrer alles zu erzählen und stellte dann im zweiten Semester endgültig auf eine linksseitige Spielweise um.

Bitte erzähle mehr über deine Herangehensweise beim Umlernprozess.
Ich hatte davor immer wieder auf dem Rechtsinstrument linksseitig gespielt – was mit meinem neuen mittigen Ansatz nun auch viel besser funktionierte – und gemerkt, wie viel wohler ich mich dabei fühle. Am Ende meines ersten Semesters hatten wir die Aufgabe, eine Etüde aufzunehmen und ich bin rechtsherum schier verzweifelt, bis ich es einmal linksherum versucht habe und dann schockiert war, wie viel klarer und authentischer auf einmal das Ergebnis war.
An der Trompete sind es ja nur „drei Knöpfe“, was das Umstellen – gerade im Vergleich zu anderen Instrumenten – vermutlich relativ einfach macht…
Was waren für dich die größten Herausforderungen beim Umlernen?
Natürlich hat es eine Weile gedauert, bis die Technik wieder genauso funktionierte wie vorher. Mir ist auch ein bisschen die Höhe weggebrochen, weil ich plötzlich gemerkt habe, wie stark ich andrücke. Aber das hat sich mit der Zeit alles gelöst.
Die mit Abstand größte Herausforderung war das Unverständnis meines Professors. Nicht in Bezug auf das Linksspielen – das hat er verstanden und war glücklicherweise offen dafür, als ich mich endlich getraut habe, ihm alles zu erzählen –, sondern in Bezug auf das, was das Umlernen für mich bedeutete. Ich befürchte, dass es für Außenstehende schlichtweg nicht nachzuvollziehen ist, was in diesem Prozess in einem vorgeht: Endlich hatte ich das Gefühl, wirklich Musik machen zu können und hinter dem zu stehen, was ich mit dem Instrument aussage. Es war eine neue, bunte Welt, die es zu erkunden galt, doch mein Professor bestand darauf, dass ich stur und stumpf an meiner Technik arbeite müsse.
Wir sind ein paarmal aneinandergeraten und mein neues, gutes Gefühl beim Musizieren geriet zunehmend in Dissonanz zu dem, was ich im Unterricht als Rückmeldung bekam: Für mich war es so, dass ich endlich dort war, wo ich immer sein wollte, dass ich mich endlich ausdrücken konnte und dass nun endlich alles „gut“ war. Sicherlich hatte ich noch einen weiten Weg vor mir, aber das Gefühl, so viel gewonnen zu haben, überwog. Gleichzeitig wurde ich im Unterricht immer mehr kritisiert, spürte immer mehr Druck und bekam immer weniger die Rückmeldung, dass sich durch die Umstellung irgendetwas verbessert hätte. Ich glaube, das hat mich innerlich zerrissen.
Wir hatten einen anderen Dozenten für Orchesterstellen, mit dem ich im Vertrauen darüber sprechen wollte, und der hat mich dann richtig zusammengeschissen: Niemand hätte es verstanden, warum ich den Ansatz geändert habe, und mit der Linkstrompete hätte sich auch wirklich gar nichts verbessert. Kurze Zeit später musste ich das künstlerische Studium leider abbrechen. Es ging einfach nicht mehr…
Konntest du dich damals mit anderen Linksspielenden austauschen?
Natürlich konnte ich mit meiner Schwester darüber reden, aber zu anderen Linksspielenden hatte ich leider keinen Kontakt. Damals gab es noch nicht die Vernetzung, die heute – vor allem durch eure großartige Initiative – möglich ist. Ich glaube, es hätte mir sehr geholfen, wenn ich gewusst hätte, dass es so viele linksspielende Musikerinnen und Musiker gibt.
Du beschreibst eindrücklich die Probleme im Umlernprozess. Gab es sonstige Vorbehalte gegen das Linksspielen?
Nein, ich glaube, worauf ich gestoßen bin, war nicht die Ablehnung des Linksspiels an sich, sondern es wurde einfach oft nicht verstanden, welche Bedeutung dieses für mich hat. Mittlerweile habe ich mit der Trompete in Schulmusik meine Abschlussprüfung gespielt und musste mir auch da von meiner Dozentin anhören, wie schade es sei, dass ich mich mit der Linkstrompete so eingeschränkt habe und in der Prüfung nichts mit Piccolo oder Flügelhorn machen konnte… Klar ist es ein großer Nachteil, dass ich mir wirklich alles neu bauen lassen muss und dass ich, wenn ich etwas nicht habe, es wirklich nicht habe. Aber das sind Kleinigkeiten im Vergleich zu dem, was ich durch das Linksspielen gewonnen habe: die Möglichkeit, wirklich Musik zu machen.
In welchem Kontext spielst du heute noch rechtsrum?
Auf der Trompete gar nicht. (Allerdings spiele ich inzwischen auch prinzipiell nicht mehr so viel Trompete, sondern habe im Studium nun den Fokus auf der Kirchenmusik.)
Woher hast du deine linken Instrumente?
Von Thomann gab es damals serienmäßig Linkstrompeten, von denen ich mit einer begonnen habe. Dann hat mir Martin Böhme eine linksseitige Trompete gebaut, auf der ich bis heute sehr gerne spiele.
Siehst du Vorteile darin, „andersherum“ zu spielen?
Für mich als Linkshänder ist das die natürliche Art zu spielen. Es ist kein Vorteil, sondern einfach so, wie es von Anfang an sein sollte.

Fotos: Laila Kirchner
Dirk Becker, geboren 1998, begann mit dem Trompetenspiel in der Bläserklasse des Eduard-Spranger-Gymnasiums in Landau in der Pfalz. Nach einem Jungstudium bei Prof. Peter Leiner in Saarbrücken und Preisen bei Jugend Musiziert auf Bundesebene, studierte er ab dem Wintersemester 2019/20 Trompete bei Prof. Wolfgang Guggenberger in Trossingen; entschloss sich dann jedoch, den Studiengang zu wechseln. Nach einem abgeschlossenen Bachelor sowohl in Schulmusik als auch Kirchenmusik in Trossingen, setzt er sein Studium seit dem Wintersemester 2024 an der HMT Leipzig fort. In seiner Bachelorarbeit mit dem Titel „rechtsherum habe ich mich dem Instrument ausgeliefert gefühlt“ beschäftigte er sich intensiv mit dem Umlernprozess von Rechts- auf Linksinstrument bei umgeschulten Linkshänder:innen.
Linkshänder-Trompete & Co. – Hier gibt es weitere Interviews mit linksspielenden Interpreti:innen verschiedener Instrumente aus aller Welt.