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Händigkeitsgerecht musizieren – Warum die Richtung bei Musikinstrumenten einen Unterschied macht

von Karoline Renner


Beim Musizieren werden zugleich höchste räumlich-zeitliche Präzision, rasches und flexibles Reagieren und Kreativität im klanglichen Ausdruck verlangt.

Es erfordert lebenslanges Ãœben, weil es das Schwierigste ist, das der Mensch vollbringen kann. Denn die Motorik (der Finger, des Ansatzes und der Stimme) ist einer gnadenlosen Instanz unterworfen: der des Ohres.

Das Ohr ist vier Mal präziser als das Auge. Es kann zeitliche Ungenauigkeiten im Bereich von Millisekunden und Tonhöhenunterschiede von wenigen Cent wahrnehmen.


Die angeborene Händigkeit lediglich auf die Hände zu beschränken, ist viel zu kurz gedacht. Denn ob jemand seine linke oder rechte Hand als Priorität verwendet, also als geschickter für präzise Tätigkeiten empfindet als die andere Hand, hat Auswirkungen auf mehr als nur das Motorische:



„Die Finger sind die Tentakeln unseres Geistes.“ Gerrit Onne Van de Klashorst, Entwickler der Dispokinesis




Ein unpassendes, nicht der Händigkeit entsprechendes Instrument hat Auswirkungen auf:


- das gesamte Erlernen eines Instrumentes: Lerngeschwindigkeit, Leichtigkeit, Motivation, Freude

- die gesamte Körperhaltung als Hinwendung nach links bei der Rechtsflöte oder nach rechts bei der Linksflöte, von Kopf bis Fuß (siehe Artikel)

- die Balance des Instrumentes, Sicherheitsgefühl für Finger und Klang, Ausgleichen des Kippens der Flöte Richtung Mechanik zum Spielenden (siehe Artikel)

- fundamentale Auswirkungen auf die Atmung (Zusammenhang von Emotionen und Zwerchfell)

- Gestik und Ausdrucksbewegungen

- Kondition und Ermüdung

- Hören (Ausnahmslos alle meine Versuche bestätigen, dass es einen entscheidenden Unterschied macht, den eigenen Flötenklang von rechts oder von links zu hören.)

- Sehen generell und Erfassen des Notentextes (Notenlesen)

- Selbstvertrauen, Selbstsicherheit, Bühnenverhalten

- Kreativität (GANZ WICHTIG – darum geht es doch in der Musik!)




Vorteile der Verwendung von passenden, der Händigkeit entsprechenden Musikinstrumenten:


- Respekt dem eigenen Körper gegenüber, Vermeidung von Überlastungsbeschwerden

- Prävention und Vermeidung von physischen Kompensationen und daraus resultierenden Problemen (Schmerzen im gesamten Bewegungsapparat)

- im Orchester/Ensemble erhöhte klangliche Vielfalt auch durch die unterschiedliche Platzierung und dementsprechende Abstrahlungsrichtung der Klangquellen

- verbessertes emotionales Befinden in einem ohnehin emotional fordernden Umfeld mit höchstem Leistungsanspruch und Präzisionsleistung unter Druck bei gleichzeitigem Arbeiten innerhalb der Intimdistanz mit anderen

- bessere Selbstakzeptanz („Ich bin richtig, wie ich bin.“)

- größere Zufriedenheit, Kritikfähigkeit, Teamfähigkeit




Argumente gegen die üblichen Einwände zusammengefasst:


„Wie schaut das denn aus im Orchester?!“

Erstens sehen das die meisten Zuhörer nicht und zweitens geht es um höchste künstlerische Qualität, die zu HÖREN und zu SPÜREN sein muss. Der optische Eindruck muss sich klanglichen und kreativen Vorteilen unterordnen. Anstelle von oberflächlicher Uniformalität muss Authentizität von Person und künstlerischem Ausdruck treten.


„Wir haben ohnehin schon zu wenig Platz! Wie sollen wir jetzt auch noch Menschen unterbringen, die in die andere Richtung spielen?“

Im Falle von mittig gespielten Instrumenten macht der Platz keinen Unterschied (Oboe, Klarinette…). Streichinstrumente müssen so platziert werden, dass die Bögen nicht kollidieren. Der Platzbedarf für diese Menschen, ebenso wie der für die, die Flöte spielen, bleibt im Prinzip gleich, nur wird er anders ausgefüllt. Für Schlaginstrumente gilt das ebenso.


„Wieso überhaupt? Man braucht doch sowieso beide Hände zum Spielen!“

Händigkeit entsteht als Gesamtwahrnehmung im Gehirn und ist daher nicht nur auf die Motorik reduziert. Es ist eine andere Art zu sein und wahrzunehmen. Argumente siehe oben.


„Ich bin Linkshänderin, ich bin Linkshänder und kann als Profi problemlos auf der normalen Flöte spielen.“

Herzlichen Glückwunsch! Es gibt aber auch nachweislich genug Menschen, die lieber auf die andere Seite spielen würden oder spielen. Für alle wäre es doch ein selbstverständliches Zeichen von Respekt, Offenheit und Toleranz, wenn sie möglichst von Beginn an die Wahl hätten, für welche Seite sie sich gerne entscheiden würden.


„Es gibt keine qualitativ hochwertigen Instrumente. Es gibt keine Lehrkräfte, die für diese Thematik offen sind.“

Das stimmt nicht. Ja, es gibt noch wenige, aber es gibt sie und man kann sie finden. Und es werden ständig mehr. Wenn die Nachfrage groß genug ist, werden alle mitziehen.



Website der Autorin (externer Link)







Eine Klarinettistin und eine Flötistin musizieren linkshändig

Ulrike Scheuchl (Klarinette) und Silke Becker (Querflöte) musizieren ihrer Händigkeit entsprechend auf Linkshänderinstrumenten. Foto: Alexander Englert




 

Linkshänder Querflöte linkshändig spielen


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