»Wenn ich einen Musiker erlebe, ist für mich in erster Linie entscheidend, ob dieser einen gesunden Eindruck auf mich macht. Ist die Beziehung zwischen Körper und Instrument nicht harmonisch, sondern angespannt, stimmt in der Regel etwas Grundsätzliches nicht. Das kann z. B. das Spielen entgegen der Händigkeit sein.«
Prof. Elfriede Stahmer unterrichtete 1992–2018 Methodik und Didaktik des Violinspiels an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Zeitweilig hatte sie außerdem einen Lehrauftrag für Barockgeige an der Hochschule für Künste in Bremen inne. Sophia Klinke traf sie am 20. März 2023 zum Interview für Linksgespielt über händigkeitsgerechtes Musizieren und den Sinn von Linkshänder-Geigen.
Wie definierst du die Aufgabenverteilung der Hände beim Geigenspiel?
Aus gewachsener Erfahrung – das war nicht von Anfang an klar – ist für mich eindeutig, dass die Bogenhand ungemein wichtig für den Klang ist. Alles, was mit Ausdruck zu tun hat, passiert maßgeblich dort.
Eine gewisse Geschicklichkeit in der Greifhand ist natürlich absolut hilfreich. Mündet diese aber in zu viel Kraft, steht das oftmals im Weg. Das erlebte ich beim Unterrichten. In all den Jahren kam es immer mal wieder vor, dass linkshändige SchülerInnen und StudentInnen dabei waren. Dann freut man sich erstmal, dass die toll greifen können, aber ärgert sich, wie schwierig sie es haben, einigermaßen gerade streichen und einen satten Ton erzeugen zu können.
Welche Erfahrungen hast du mit LinkshänderInnen gemacht, die ihr Instrument konventionell rechtsherum spielen?
Als ich sehr jung war und die Thematik der Händigkeit für das Violinspiel noch nicht stark in meinem Bewusstsein war, hatte ich einen sechsjährigen Schüler. Er war offensichtlicher Linkshänder und nahm jedes Mal den Bogen in die linke und die Geige in die rechte Hand – jede Stunde, immer wieder. Zusätzlich war bei ihm auch das Phänomen der Synästhesie ausgeprägt. Er sprach beispielsweise von blauen, gelben, grünen und braunen Saiten. Nach einiger Zeit hörte er mit dem Geigenspiel wieder auf. Es wäre interessant gewesen zu schauen, ob es besser funktioniert hätte, wenn er als Linkshänder auf einer Linkshändergeige gespielt hätte. Die Chancen stehen ja gut, dass dann einiges einfacher und glatter verläuft.
In meiner Klasse hatte ich eine rechtshändige Geigerin, Anne Kahl*, die höheres Lehramt studierte und aufgrund einer Verwachsung an der linken Hand von klein auf linksherum Geige spielte – also dasselbe in grün wie Linkshänder, die rechtsherum spielen. Sie war an der linken Hand ohne Daumen auf die Welt gekommen und in Kinderjahren mehrfach am Zeigefinger operiert worden, der dadurch als Gegenspieler zu den anderen Fingern umfunktioniert wurde – quasi als Daumenersatz.
An der linken Hand hatte sie also einen Daumenersatz plus drei Finger und als Kind eine Lehrerin gefunden, die sie folglich andersherum unterrichtete: Linksstreichend, rechtsgreifend.
Anne spielte sehr, sehr musikalisch, aber tonlich kam sie immer wieder an ihre Grenzen. Gleichwohl war sie als Rechtshänderin mit ihrer dominanten Greifhand erstaunlich geschickt – das hatte mich sehr verblüfft, da sie eine spezielle Lagenwechseltechnik hatte, die mir zwar bekannt war, jedoch selten unterrichtet wird. Aber als Rechtshänderin mit links zu streichen, blieb immer schwierig.
Um dem entgegenzuwirken, haben wir viel an ihrer Haltung verändert und gebastelt, denn die Hauptarbeit bestand immer aus Klangverbesserung. Wir haben auch einiges erreicht und doch blieb es ein doppeltes Handicap, da bei ihr als Rechtshänderin die nichtdominante linke Hand streichen musste und diese gleichzeitig aufgrund der Verwachsung der Finger nicht genügend das Gewicht des Bogens ausbalancieren konnte.
Für mich war sehr hilfreich, dass in der Hochschule überall Spiegel angebracht sind, vor die sich Anne stellte. Darin sah es nämlich so aus, als würde sie rechtsherum streichen und speziell am Anfang war das für mich als Lehrende vor allen Dingen in Hinblick auf Haltung wichtig, da der Anblick des Linksspielens doch ungewohnt war.
Trafst du auch auf Linkshänder, die ihrer Händigkeit entsprechend linksherum spielen?
Vor über zehn Jahren kam der damals elfjährige linkshändig geigende Tjarbe Björkson, dessen Vater ich kenne, zu mir in den Geigenunterricht. Er erlernte von Anfang an das Geigenspiel linksherum und parallel zu seinem Musikschulunterricht sollte ich ihn auf die Aufnahmeprüfung für das Institut zur Frühförderung musikalisch Hochbegabter (iff) der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover vorbereiten, die er nach zwei Jahren erfolgreich bestand. Dort studierte er Komposition und als Nebenfach Geige. Für mich war sehr spannend zu erleben, wie selbstverständlich er linksherum spielte.
Seine damalige Geigenlehrerin Elisabet Heineken von der Musikschule Wunstorf setzt sich seit vielen Jahren für händigkeitsgerechtes Spielen ein und hat neben Rechtsspielern auch viele Linksspieler in ihrer Klasse.
Einmal hatte ich eine interessante Begegnung im Rahmen der Studienvorbereitenden Ausbildung – einem Förderprojekt der Landesregierung für Musikschulen, das dazu ermutigen soll, ambitionierten Schülerinnen und Schülern als Vorbereitung für ein mögliches Musikstudium auch Theorie- sowie vertieften Instrumentalunterricht anzubieten. Einmal im Jahr haben SchülerInnen, die an diesem finanziell unterstützten Förderprojekt teilnehmen, eine Prüfung zu absolvieren, um zu gewährleisten, dass ein bestimmter Standard gegeben ist.
Als externe Prüferin und Vertreterin der Hochschule wurde ich dorthin geschickt und traf auf die damals fünfzehnjährige Cellistin Caja Wohlfeil*, die fantastisch Cello spielte und zwar ganz selbstverständlich linksherum. Sie spielte sehr musikalisch – einfach schön. Mit ihr hatte ich mich damals auch über ihr Linksspielen unterhalten. Später wurde sie Jungstudentin bei Ulf Tischbirek an der Musikhochschule Lübeck, der sie in ihrem Linksspielen sehr unterstützte.
In meiner Jugend sah ich einmal einen Linksgeiger in einem professionellen Orchester spielen, sogar am ersten Pult. Er war mir sofort ins Auge gefallen. Leider erinnere ich nicht mehr, welches Orchester es war.
Welchen Stellenwert hat Händigkeit im Studium angehender MusiklehrerInnen?
Mittlerweile bin ich pensioniert, aber wenn ich bei Projekten o. ä. mit angehenden oder bereits ausgebildeten Lehrenden spreche und das Thema darauf kommt, ermutige ich sie, diesem nachzugehen und dessen Wichtigkeit nicht zu unterschätzen. Man sollte sich trauen und darauf einlassen, denn letztendlich macht händigkeitsgerechtes Musizieren so vieles einfacher – vor allen Dingen gesünder.
Wenn ich einen Musiker erlebe, ist für mich in erster Linie entscheidend, ob dieser einen gesunden Eindruck auf mich macht. Ist die Beziehung zwischen Körper und Instrument nicht harmonisch, sondern angespannt, stimmt in der Regel etwas Grundsätzliches nicht. Das kann z. B. das Spielen entgegen der Händigkeit sein.
Glücklicherweise nimmt auch in anderen Berufen die Bedeutung der angeborenen, nicht veränderbaren Händigkeit zu. Mein Eindruck ist, dass die Zeit für uns arbeitet – die Frage von Diversität ist dermaßen aktuell. Es kann daher nur leichter werden.
Im Rahmen meines damaligen Methodikunterrichts hatte ich eine provisorisch auf links umgebaute Schülergeige, bei der lediglich die Saiten andersherum aufgezogen und ein Mittelkinnhalter aufgesetzt waren, innen aber war es eine Rechtshändergeige (Bassbalken und Stimmstock nicht verändert).
Die Studierenden sind in der Regel so erfüllt von ihrer angehenden Tätigkeit des Unterrichtens (was natürlich sehr erfreut und hoffentlich so bleiben wird!), dass sie darüber oftmals die völlig anderen Entwicklungen, vor denen ein Anfänger auf der Geige zwangsläufig steht, vergessen. Also habe ich meinen Studierenden diese Linksgeige in die Hand gedrückt und gesagt: »Spielt mal!«
Der Versuch war, darauf spontan ein kleines Liedchen zu spielen und meine Intention, zu merken, wie schwierig zu Beginn die Koordination zwischen rechts und links ist. Bei dieser Übung spielte die Handdominanz erst einmal keine Rolle für mich, aber das sehe ich mittlerweile anders: Als Anfänger nicht entsprechend der Händigkeit zu spielen, bringt in der Regel vermehrt Schwierigkeiten mit sich, wie bereits erwähnt (zu viel Kraft in der Greifhand, zu wenig Ausdruckskraft in der Bogenhand), und stellt unnötige Hürden, die vermeidbar sind.
Musizieren als ganzheitliches Erlebnis zu verstehen, kommt mehr und mehr in den Hochschulen an. Dass die Händigkeit von Bedeutung ist, sollte definitv anzuerkennen und miteinzubeziehen sein, sodass angehende InstrumentallehrerInnen ohne Unbehagen linkshändige SchülerInnen auf Linkhänderinstrumenten spielen lassen.
Was bedeutet Unterrichten für dich?
Für mich bedeutet Unterrichten die achtsame Begleitung des/der Lehrenden hin zur Verbindung des Schülers/Studenten mit sich selbst. Unterrichtet man Kinder und Jugendliche, ist die Beziehung zueinander in der Regel eine andere, engere Bindung, aber es steht in der Verantwortung der Lehrenden, ihren Studierenden den Weg in die Eigenanbindung zu weisen, zumindest zu zeigen. Dass es diesen gelingt, in den Zustand zu kommen, wo erlebt wird, dass man sich selber ausdrücken kann und das Instrument als Medium begreift, welches einem die Möglichkeit bietet, wirklich mit sich selbst in Kontakt treten zu können.
Zudem bedeutet es für mich, die Sensibilität der Kinder als Geschenk für empfindsames Musizieren zu verstehen und diese keinesfalls durch zu hohen Leistungsdruck zu verschütten, denn das verletzt sehr vieles.
Gibt es noch etwas, das du abschließend ergänzen möchtest?
Ich finde eure Initiative großartig! Dass ihr euch so intensiv damit beschäftigt und dies in die Welt tragt, erweitert den Horizont. Und auch wenn man vom Fach ist, so wie ich, sieht man dadurch vieles nochmal anders und differenzierter.
Vielen Dank!
* Interviews coming soon...
Elfriede Stahmer wuchs in Hannover auf und studierte dort Schulmusik und Anglistik. Nach einigen Jahren der Unterrichtstätigkeit als Studienrätin an einem Gymnasium und der langjährigen Leitung des Jugendsinfonieorchesters Hannover widmete sie sich neben ihrer Familie vor allem dem Spiel auf der Barockgeige. Starke Einflüsse erhielt sie durch Nikolaus Harnoncourt und die Geiger Sigiswald Kuijken und Monica Huggett.
Sie spielte in zahlreichen Ensembles für Alte Musik (Messa die Voce, Fiori Musicali, Capella Aggostino Steffani, Musicalische Compagney, Musica Fiata, Dresdner Barockorchester, Weserrenaissance u. v. a.), oft als Konzertmeisterin. Ihr großes Interesse gilt der Kammermusik. 1991 gründete sie das ENSEMBLE APPERTO. Sie hat bei zahlreichen Rundfunk-, Schallplatten- und CD-Aufnahmen mitgewirkt und gastierte in fast allen Ländern Europas sowie in Amerika.
Elfriede Stahmer unterrichtete von 1992 bis 2018 Methodik und Didaktik des Violinspiels an der Musikhochschule Hannover (HMTMH). 2002 wurde ihr dort der Professorentitel verliehen. Zeitweilig hatte sie ebenfalls einen Lehrauftrag für Barockgeige an der Hochschule für Künste in Bremen inne.
Titelbild © Alexander Englert
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