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Linkshändig im Orchester spielen? – Solocellist Ludwig Quandt (Berliner Philharmoniker) im Interview

"Dass man den Mitspielern mit dem Bogen in die Quere kommt, passiert ohnehin. Ich habe bestimmt dutzend Mal schon jemandem mit dem Frosch in die Schnecke reingehauen. [...] Und den Geigern oder Bratschern ist es egal, ob sie von der Spitze oder vom Frosch erwischt werden. :)"

Vorurteile wie, man könne nicht linkshändig im Orchester spielen, oder Orchester nähmen keine Linksspielenden auf, halten sich immer noch hartnäckig. Zeit, hier mal aufzuräumen und einen Insider zu befragen: Sophia Klinke von Linksgespielt hat mit dem (rechtsstreichenden) Solocellisten der Berliner Philharmoniker gesprochen – über die Rollenverteilung der Hände am Streichinstrument, die Bedeutung händigkeitsgerechten Musizierens und den Körpereinsatz beim Orchesterspiel.



Ludwig Quandt, vielen Dank, dass du dir die Zeit für ein Gespräch mit Linksgespielt nimmst.

Dein Neffe ist Linkshänder und spielt auf einem Linkshändercello. Wie kam es bei ihm zur Sensibilität für händigkeitsgerechtes Musizieren?


Man hatte sich entschlossen, ihm solch ein Cello bauen – genauer gesagt: umbauen – zu lassen, weil es auf dem ,,normalen“ Rechtshändercello einfach nicht mehr ging. Er konnte darauf nicht vernünftig spielen.

Seine Lehrerin, die sehr viele Kinder unterrichtet, unterstützt wohl schon immer, dass Linkshänder entsprechend andersherum spielen sollen. Es geht ja hauptsächlich um den Bogen – dass man das Raumgefühl für den Bogen hat. Darauf kommt es an!



Ist für dich völlig klar, dass als Rechtshänder der Bogen in die rechte Hand gehört? Könntest du dir als Rechtshänder vorstellen, linksherum spielen zu müssen, wie es ja bei vielen Linkshändern rechtsherum der Fall ist?

Oft wird ja relativiert, indem gesagt wird, für ein Streichinstrument brauche es ohnehin beide Hände – es sei daher nicht wichtig, dass die dominante Hand die Bogenhand sein müsse.


Ich habe das Cellospiel mit sechs Jahren begonnen und war immer eindeutiger Rechtshänder. Dementsprechend kann ich mir nicht vorstellen, linksherum spielen hätten zu müssen! Das hätte sich nicht natürlich, nicht organisch angefühlt. Das Raumgefühl ist das alles Entscheidende.


Natürlich braucht es auch Raumgefühl auf dem Griffbrett – das Griffbrett als Schiene, auf der man sich herauf und herunter bewegt. Man saust ja nicht mit der Greifhand wild im freien Raum der drei Dimensionen umher, sondern ist unterwegs auf seinem Griffbrett und braucht nur das Abstandsgefühl.

Mit dem Bogenarm hingegen gestaltet man die Klangfarben: Wenn man während eines Abstrichs an den Steg möchte oder aber auf das Griffbrett, spielt man an ganz verschiedenen Stellen. Es braucht da eine enorme Flexibilität. Man ist mit dem Bogen ständig in allen drei Dimensionen unterwegs.


Mit der Greifhand können verschiedene Vibratovarianten eingesetzt werden, aber den eigentlichen Ausdruck siehst du in der Bogenhand, oder? Dynamik, Klangfarben usw. ...


Im Bogenarm, unbedingt! Eindeutig. Das Bewusstsein, was der Bogenarm macht, die Bewegung im Raum – dorthin ist alles orientiert, in dieses ganze Gefühl.

Das ist eine völlig andere Herausforderung als für die Greifhand. Zwei vollkommen verschiedene Aufgaben.

Aber es ist ein Zusammenspiel, eine Fusion! Ich denke gar nicht darüber nach. Manchmal braucht es bei der Greifhand einen hohen Anpressdruck, um die Saite richtig zu fixieren. Ein anderes Mal lässt man bewusst ein bisschen locker, damit der Ton weniger Fokus hat.

Dennoch ist man mit der Greifhand begrenzter. Wenn man einen Ton spielt, dann ist dieser auf einer ganz bestimmten Stelle des Griffbretts und kann klanglich zwar auf jeden Fall mit verschiedenen Vibrato-Arten differenziert werden, aber immer als Unterstützung für den Klang, der mit dem Bogen ausgedrückt wird. Mit dem Bogen kann man den Ton hier oder dort oder an ganz vielen noch anderen möglichen Kontaktstellen spielen – überall! Da gibt es wirklich ein riesiges Spektrum.


Artikel 12 des Grundgesetzes regelt das Recht auf freie Berufswahl und freie Berufsausübung. Schreibt ein Lehrer mit links an die Tafel, so ist dies kein Problem. Nichts anderes gilt für linksspielende Musiker in Berufsorchestern.


Richtig, natürlich. Selbstverständlich.

Unser Orchester engagiert ausschließlich nach Qualität. Wenn ein Linkshänder kommt, spielt links und fegt alle anderen vom Platz, dann kommt der in das Orchester und es wird eine Lösung gefunden werden. Wir haben keine Statuten, die linkshändige Spieler ausschließen.


Und gerade wir Berliner Philharmoniker spielen mit so viel Körpereinsatz, das ist ja unser Markenzeichen! Wir wollen uns bewegen und nicht wie die Salzsäulen auf den Stühlen sitzen – sonst kann man keinen Klang produzieren. Man muss sich frei fühlen. Wenn man sich nicht mehr bewegen und nur noch mit starrem Körper spielen darf, hört man das.

Es gibt bei uns keine Kollegen, behaupte ich, die von sich aus sagen würden: ,,Lass es mal ein bisschen ruhiger angehen“. Bei uns gibt es diesen Geist, dass im Konzert jeder alles gibt. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Wenn man alleine spielt, wenn man Bachs Solosonaten spielt, stellt man sich ja auch nicht hin und fiedelt das Zeug einfach nur herunter. Man möchte etwas ausdrücken! Und genau das machen wir im Orchester zusammen. Das ist das allerwichtigste.

Wenn wir uns aufgrund von händigkeitsentsprechendem Musizieren in unserer Körperbewegung einschränken müssten, würde der Klang in der Tat leiden, das ist ganz klar. Aber man würde Lösungen finden. Wenn man etwas will, dann findet man auch einen Weg.


Und dass man den anderen Mitspielern mit dem Bogen in die Quere kommt, passiert ohnehin: Wenn rechts gestrichen wird, ragt links der Bogen ja gleich weit in das Geschehen hinein. Die Bratschen kriegen unsere Spitzen ab.

Ich habe bestimmt dutzend Mal schon jemandem mit dem Frosch in die Schnecke reingehauen. Aber die sind ja Gott sei Dank immer aus Hartholz, da ist noch nie etwas kaputt gegangen. In jedem fünften Konzert passiert mir da irgendwas – dass man kollidiert, auch mit dem Arm.

Den Geigern oder Bratschern ist es egal, ob sie von der Spitze oder vom Frosch erwischt werden. :)

Nur für Leute, die an einem Pult sitzen, würde es es beim Rechts- und Linksspielen wahrscheinlich etwas sportlicher werden... :) Das ist eigentlich alles. Aber wie gesagt, man würde Lösungen finden.


Wenn bereits früh in der Ausbildung auf händigkeitsentsprechendes Musizieren geachtet werden würde, wären sicherlich schon ein paar Linksspieler zu euch gekommen.


Natürlich, natürlich. Ich weiß nicht, wie viele Pflänzchen da schon verdorben sind, bevor sie überhaupt hätten anfangen können zu wachsen, geschweige denn zu blühen...

Viele Linkshänder, die tolle Musiker hätten werden können, sind wahrscheinlich einfach unter den Tisch gefallen, denke ich, wenn sie entgegen ihrer Händigkeit spielen mussten. Die sind einfach durch das Raster. Das ist natürlich sehr schade. Das müsste man mal irgendwie versuchen zu erfassen, das wäre interessant. Es ist ein spannendes Thema und auf vielen Ebenen interessant.



Vielen Dank für das schöne Gespräch, lieber Ludwig!




 

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Titelbild: Symbolbild / privat

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