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»So selbstverständlich, wie mit links zu schreiben« – Chiara streicht von klein auf linkshändig

»Zum Geige spielen braucht man Kraft, Ausdruckskraft in der Bogenhand – das geht gar nicht anders. Man kommt ja auch nicht auf die Idee, dass Rechtshändige linksherum spielen müssten.«

Die angehende Psychologiestudentin Chiara Kaiser (*2003) begann das linkshändige Geigenspiel im Alter von sechs Jahren – unterstützt von ihrer Mutter Patricia Böhn-Kaiser (Gymnasiallehrerin für Englisch, Religion und Musik).

Sophia Klinke von Linksgespielt hat die beiden besucht und mit ihnen über Erfahrungen in Schulorchestern, Vor(ur)teile und Tortenwetten gesprochen...


Chiara Kaiser (re) mit ihrer Mutter Patricia Böhn-Kaiser
Chiara Kaiser (re) und Patricia Böhn-Kaiser. Foto: Privat

Wie beschreibst du deine Händigkeit?


Chiara: Ich bin eindeutige Linkshänderin. Meine Eltern erzählen immer, dass ich schon als Kind alles in die linke Hand nahm. An meiner Linkshändigkeit gab es also nie Zweifel. Mein Vater ist auch Linkshänder, wurde aber im Kindergarten gezwungen, auf rechts umzulernen und hat bis heute mit den daraus entstandenen Nachteilen zu kämpfen. Zum Glück gab es keine Situationen, in denen versucht wurde, mich auf die rechte Hand umzuschulen. Tennis habe ich auch gespielt – einfach mit links.



Hast du dein Instrument, die Geige, von Anfang an links herum gelernt?


Chiara: Ja. Bei der ersten Geigenlehrerin war es anfangs etwas kompliziert, weil sie nicht sehr angetan war, als meine Mutter sagte, ich solle auf einer Linkshändergeige spielen. Meine Mutter hatte sich im Vorhinein über das Thema Händigkeit im Instrumentalspiel informiert und was es da zu beachten gilt. Sie kam zu dem Schluss, dass es sinnvoll sei, das Instrument entsprechend der Händigkeit zu lernen – dass die dominante Hand beim Geigenspiel also die Bogenhand sein sollte.

Für diese Geigenlehrerin war das etwas Neues und sie sagte: »Okay, du musst es zuerst trotzdem zwei Wochen rechtsrum versuchen.« Das ergab zwar keinen Sinn, aber wir haben es so gemacht.

Nach diesen zwei Wochen des Rechtsspielens fing ich dann aber sofort linksherum an.

Es fühlte sich direkt richtig an, mit links zu streichen! Ich war damals sechs Jahre alt und bin sehr dankbar, dass meine Mutter sich von Anfang an dafür eingesetzt hat, dass ich entsprechend meiner Linkshändigkeit spielen durfte. Ohne den Einsatz meiner Eltern würde ich mit Sicherheit rechtsherum Geige spielen.



Kannst du dich noch an die zwei Wochen des rechtshändigen Spiels erinnern?


Chiara: Ganz schwierig. Ich weiß vage, dass ich mal ganz kurz rechts spielen musste, aber an Genaueres erinnere ich mich nicht.


Patricia Böhn-Kaiser: Du hast hier herum gejammert: »Ich will das nicht!« – und ich daraufhin: »Du musst das aber jetzt zwei Wochen so herum probieren.«

Nach der ersten Woche sagte die Geigenlehrerin sogar noch: »Ach, das machst du doch ganz gut!« Sie wollte ja nur nicht, dass Chiara andersherum spielt. Das war schon ein Krampf, es waren zwei harte Wochen. Chiara wollte es einfach nicht, es war ihr unangenehm. Sie hatte während dieser zwei Wochen auch schon zuhause auf beiden Geigen probiert, weil wir eine Rechts- und eine Linksgeige da hatten. Die Rechtsgeige hatten wir für die zwei Wochen extra ausleihen müssen.

Als sie noch ein Kindergartenkind war, hatten wir eine Plastikgeige/Spielgeige und die hatte sie automatisch, ohne nachzudenken, als Linksgeige gegriffen. Sie hatte auch eine Linkshänder-Blockflöte. Die Rechtshänder-Blockflöte hatte sie damals automatisch als Linkshänder-Blockflöte gegriffen, und da habe ich gedacht: »Oh, dann bekommt sie auf jeden Fall eine Linkshänder-Blockflöte.«



Wie waren Sie damals an eine Linkshänder-Blockflöte gekommen?


Patricia Böhn-Kaiser: Sie sollte sich für die Schule eine Flöte anschaffen. Wir hatten ja schon zwei oder drei Flöten zuhause, aber alles Rechtshänder-Flöten. Chiara griff sie jedes Mal andersherum und ich dachte: »Das gucke ich mir jetzt nicht länger an. Ich schaue im Internet, ob es Linkshänderblockflöten gibt« – und selbstverständlich gab es die. Damals schon hatten einige zu mir gesagt: »Du bist doch verrückt!«

Wir haben einen linkshändigen Freund, der Musiker und Musiklehrer ist, aber als Kind seine Instrumente rechtsherum lernte. Er konnte nicht verstehen, dass ich gesagt habe: »Wenn ihr in der Schule Blockflötenunterricht gebt, müsst ihr den linkshändigen Kindern doch genauso die Chance geben, auf Linkshänder-Blockflöten spielen zu dürfen!« Wir wurden von ihm belächelt, dass das doch Quatsch sei. Trotzdem haben wir die Linkshänder-Blockflöte bestellt und Chiara spielte auf ihr.

Mein damaliger Geigenlehrer an der Hochschule war auch Linkshänder, spielte aber rechtsherum. Ich weiß noch, wie er mir einmal erklärte: »Wir haben alle normal herum gespielt.« Früher war das ja auch so. Ich hatte damals ein Buch gelesen, bevor wir uns für die Linkshändervioline entschieden.



Welches Buch war das?


Patricia Böhn-Kaiser: »Musizieren mit links« von Walter Mengler. Ich wollte mich absichern, weil ich zuerst dachte, ich sei die einzige, die so denkt. In dem Buch stand, dass die dominante Hand die Bogenhand sein soll – bei Chiara also die linke. Mit diesem ›Slogan‹ haben wir versucht, eine Geigenlehrerin zu finden. Eine Geigenlehrerin lehnte es auf Anhieb ab. Die zweite war einigermaßen aufgeschlossen.


Chiara: Nach meiner ersten Geigenlehrerin wechselte ich zu einer anderen, die gesagt hatte, es sei ihr ganz egal, wie herum ich streiche. Später kam ich zu Cornelia Scholz, die bis dahin noch keine Berührungspunkte mit linkem Musizieren hatte, aber mein Linksspielen sogleich befürwortete.



Gab es von anderen Seiten Vorbehalte?


Chiara: Neben der ersten Geigenlehrerin und der Geigenlehrerin davor, die uns direkt abgewiesen hatte, gab es auch von Bekannten hin und wieder Vorbehalte und Bedenken. Die fragten sich: »Ist das wirklich so wichtig? Es gibt doch viele gute Geiger, die Linkshänder sind und rechtsherum spielen.« Vorbehalte gab es also schon hin und wieder, aber nicht so stark, dass es mich beeinflusst hätte.



Gab es auch negative Reaktionen?


Chiara: Nein. Das nie.



Mit links klang es – neben dem Wohlgefühl, entsprechend der Händigkeit zu spielen – mit Sicherheit auch besser. Haben Sie das als Mutter auch so erlebt?


Patricia Böhn-Kaiser: Ja. Ihr Spiel wäre nicht so souverän und ausdrucksstark geworden, wenn sie es andersherum hätte erlernen müssen.


Chiara: Womit ich nie Probleme hatte, war die Klangerzeugung. Meine Geige ist zwar auch relativ laut, aber es ist eben so wichtig, mit der dominanten Hand zu streichen! Der Klang ist dann einfach gut und voll. Das war gar keine Frage für mich, dass ich die Geige auf diese Art spielen möchte: So selbstverständlich, wie ich mit links schreibe, so eindeutig war es für mich, die Geige auch links zu spielen. So fühlt es sich für mich natürlich an.



Woher hast du deine Instrumente?


Chiara: Ich habe meine Geige von ›Streichinstrumente-mieten‹. Man kann dort ›linksherum‹ angeben. Wir hatten das Instrument erst eine Weile gemietet und später erworben.



Deine ersten Linkshändergeigen – also Viertel-, Halbe-, Dreiviertelgeigen – waren auch Leihinstrumente dieser Firma?


Chiara: Ja.



Spielst du im Orchester und wenn ja, was sind dabei deine Erfahrungen bezüglich deiner Seitigkeit?


Chiara: Ich habe immer in Schulorchestern gespielt und wurde wegen meines Linksspielens nie komisch angeguckt. Da gab es keine Probleme. Man musste nur ein bisschen darauf achten, etwas weiter auseinander zu sitzen. Bei manchen Konzerten war es schwieriger, wenn man wirklich sehr eng sitzen musste, weil die Bühne so voll war. Aber es war nie so, dass ich nicht streichen konnte.


Patricia Böhn-Kaiser: Meine Eltern sind immer in den Urlaub nach Bad Reichenhall gefahren und sagten: »Da sitzt einer, der spielt links im Orchester der Bad Reichenhaller Philharmoniker – den hören wir uns jedes Jahr an! Ein Linksgeiger!« Mein Vater, selbst Geiger, hatte ihn entdeckt und uns immer wieder von ihm erzählt.

Chiara: Als Geiger braucht man ja eh Platz zum Streichen – egal, wie herum man streicht. An unsere Schule kam einmal das HR-Sinfonieorchester – die machen solche Schultouren. Zusammen mit fünf anderen aus unserem Schulorchester wurde ich ausgewählt, mit diesem Orchester Dvořáks Neunte Sinfonie zu spielen. Es war eine tolle Erfahrung! Ich kann mich nicht erinnern, von diesem Orchester auf mein Linksspielen angesprochen worden zu sein.

Ich wurde im Rahmen dieses Projekts von der Hessenschau interviewt (ab 23:09) und auch dem Fernsehteam war mein Linksspielen nicht aufgefallen.

Man denkt eigentlich, dass das Linksstreichen bei Orchesterkonzerten vom Publikum bemerkt wird, weil dann ja nebeneinander rechts- und linksherum gespielt wird. Aber sehr vielen Menschen fällt das überhaupt nicht auf – wahrscheinlich denjenigen, die nicht jeden Tag Geiger sehen. Wer selbst Geige spielt, dem fällt das wahrscheinlich sofort ins Auge. Wenn ich zum Beispiel Geiger sehe, schaue ich immer direkt, ob sie links- oder rechtsherum spielen. Natürlich spielen die meistens rechtsherum, aber ich schaue da immer drauf.


Patricia Böhn-Kaiser: Ja, die meisten Leute merken das gar nicht. Beim Orchesterkonzert von Chiaras Abiturfeier saß jemand hinter uns und sagte: »Guck mal, die spielt andersrum.« Aber das passiert sehr selten.



Welche kuriosen Erlebnisse hattest du schon mit deiner Spielweise?


Chiara: Einmal sollte ich im Musikunterricht spontan etwas auf der Geige demonstrieren. Aber die Schule hatte nur Rechtshändergeigen. Das war schon etwas schwierig, weil ich darauf ja nicht wirklich spielen kann. Ich musste diese Geige für mich so wie immer, also als Linkshänderinstrument, nehmen und dann umdenken, wo welche Saite ist. Wenn mal eine Saite reißt, kann ich auch nicht so leicht auf einer Ersatzgeige spielen, weil das ja in der Regel auch immer Rechtshändergeigen sind.


Patricia Böhn-Kaiser: Wir haben Freunde, Profimusiker, gegen die wir eine Wette gewonnen haben: Sie waren davon überzeugt, dass man im Orchester, im Profiorchester, nicht linksherum spielen dürfe. Die beiden hatten Chiara über die Jahre immer mal wieder geigen gehört und waren von ihrem Spiel angetan: »Du spielst sehr gut und könntest die Aufnahmeprüfung für Schulmusik machen. Aber da wirst du keine Chance haben, wenn du linksherum spielst.«

Mein Mann und ich haben scherzhaft gesagt: »Gut, wir schreiben an die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main und an die Hochschule für Musik Mainz eine Anfrage bezüglich der Aufnahmeprüfung im Fach Schulmusik, ob diese linksspielend möglich ist. Je nach Antwort der beiden Hochschulen, backt ihr uns eine Torte oder wir euch.«

Beide Hochschulen antworteten uns: »Wenn die Leistung gut ist und die Prüfung bestanden wird, kann ein Studium selbstverständlich auch linksherum aufgenommen werden.« Das haben wir von beiden Hochschulen – Frankfurt und Mainz – schriftlich. Wir zeigten es unseren Freunden und bekamen die Torte von ihnen gebacken.



Welche Vorteile siehst du für dich im Linksspielen?


Chiara: Ich glaube, dass ich linksspielend viel mehr herausholen konnte und kann, als wenn ich krampfhaft versucht hätte, rechtsherum zu spielen. Linksherum zu musizieren, ist die natürliche Art für mich. Es ist ja wichtig, dass es sich natürlich anfühlt und man nicht angespannt spielen muss – nur so kann man das Beste herausholen, das ist überhaupt erst die Voraussetzung für alles!

Ich wollte linksspielend aber auch nicht immer die ›Extrawurst‹ sein. Deshalb habe ich nicht großartig gesagt: »Ich spiele andersherum.« Das habe ich nie öffentlich gesagt, sondern immer nur, wenn ich darauf angesprochen wurde.



Gibt es sonst noch etwas, das du oder Sie ergänzen möchten?


Chiara: Das Linksspielen war auf jeden Fall die richtige Entscheidung. Ich bin froh, dass wir das von Anfang an so gemacht haben.


Patricia Böhn-Kaiser: Man braucht Kraft, Ausdruckskraft in der Bogenhand – geht gar nicht anders. Wenn die erste Geigenlehrerin das nicht unterstützt hätte, wären wir von ihr weggegangen. Man kommt ja auch nicht auf die Idee, dass Rechtshänder linksherum spielen müssten. Das ist ja das Verrückte.



 

Weitere Interviews mit linkshändigen MusikerInnen, die von Anfang an mit links gestrichen haben: Martial Gauthier, Prof. Terje Moe Hansen, Franz Slaboch, Iris Faceto, Jairo Ortiz, Filip Stasiak, Roman Glukhov, Reingard Voß, Frits Jochems, Lorac Chu, Aswin Sathya, Konstantin Arestov




Titelbild © Alexander Englert

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