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»Einige dachten, es sei ein Aprilscherz« – Moritz' Geschichte als linksstreichender Geigenschüler

Schulmusik-Student Moritz Heller im Interview mit Sophia Klinke am 25.04.2023

»Den Bogenarm empfinde ich als einen großen Atemfluss, der in erster Linie für den Ausdruck verantwortlich ist. [...] Allein die Vorstellung, mit rechts zu streichen, fühlt sich extrem schräg an.«

Wie beschreibst du deine Händigkeit?


Ich bin Linkshänder. Meine Eltern hatten sich bereits früh ausführlich über das Thema informiert gehabt, sodass ich von Anbeginn die Möglichkeit hatte, Messer und Gabel entsprechend zu betätigen sowie andere Dinge mit meiner dominanten linken Hand zu tun. Ich durfte auch mit links schreiben und hatte in der Schule die von Dr. Johanna Barbara Sattler konzipierte Schreibunterlage für Linkshänder, damit sich das Schreiben organisch entwickelt.


Hast du auch dein Instrument von Anfang an linksherum gelernt?


Ja, wobei ich mich in der allerersten Unterrichts-Ausprobierstunde zunächst auf einer kleinen Rechtshändergeige versuchte. Im Rahmen des Instrumentenkarussells waren mehrere Schüler anwesend und die Lehrkraft wusste da noch nichts von meiner Linkshändigkeit. Nachdem ich mich für die Geige entschieden hatte, merkten meine Eltern, dass es rechtsherum nicht passend für mich war, und besorgten ein Linkshänderinstrument.


Wie erkannten deine Eltern, dass das Spielen rechtsherum nicht stimmig war?


Da ich lediglich in der allerersten Stunde auf einem Rechtshänderinstrument spielte, weiß ich nicht, inwieweit sie geigentechnisch beurteilen konnten, dass es nicht gut war – linksspielend wäre ich nach der allerersten Stunde sicherlich auch nicht perfekt gewesen. ;)

Da sie sich aber bereits zuvor mit dem Thema Händigkeit bezogen auf viele Lebensbereiche auseinander gesetzt hatten, war für sie klar, dass ich entsprechend linksherum spielen sollte.

In meiner Familie gibt es viele Linkshänder, die das Schreiben mit rechts erlernten. Für meine Eltern war daher umso wichtiger, dass ich mit links schreibe und generell alles mit links tun darf, für das die dominante Hand vorgesehen ist. So auch das Streichen auf der Geige mit links.


Wie alt warst du, als du mit dem Geigenspiel begannst?


Sechs Jahre. Meine damalige Geigenlehrerin war auch Linkshänderin, spielte aber rechtsherum. Sie fand es eine gute Idee, dass ich linksherum anfing und vermittelte meine Eltern für ein entsprechendes Instrument direkt zu dem Geigenbauer Michael Hatting.


Gab es von irgendeiner Seite Vorbehalte gegen dein Linksspielen?


Es gab einige Geigenbauer, die den Hörer einfach auflegten, weil sie dachten, es sei ein Aprilscherz, als meine Eltern sich über Linkshänderinstrumente kundig machen wollten.


Wahnsinn!


Ja, wirklich! Ansonsten kam immer wieder die Frage auf, wie sich das Linksspielen in einem Orchester arrangieren ließe.


Spielst du im Orchester? Was sind dabei deine Erfahrungen bezüglich der Seitigkeit?


Derzeit spiele ich in keinem Orchester. Zuvor war ich acht Jahre Mitglied im Schulorchester und bis vor einem Jahr im Schulmusikorchester Karlsruhe, in dem auch Florian Geyer spielt und sich durch unsere Bekanntschaft inspiriert fühlte, eine Linksgeige für mich zu bauen. Ganz früher spielte ich in in einem Juniororchester, anschließend im großen Orchester sowie in einem Schülerorchester in Stuttgart. Meine Erfahrung fielen bisher sehr positiv aus. Oftmals kamen auch Leute auf mich zu und stellten interessierte Fragen.


Hattest du in der Regel einen Pultnachbarn oder spieltest du allein an einem Pult?


Ich habe immer mit jemandem gepultet. Meist saß ich außen am Pult aufgrund der Platzsituation. Mittig zu sitzen, stellte jedoch auch kein Problem dar.


Gab es Dirigenten, die dich auf dein Linksspielen ansprachen?


Mein Musiklehrer am Musikgymnasium wusste von Anfang an davon. Andere bemerkten es während meines Probespiels für das Orchester. Dem Dirigenten des hiesigen Schulmusikorchesters fiel es in der ersten Probe auf und er sprach mich neugierig darauf an. Ablehnung aufgrund meiner Spielweise erfuhr ich noch nie.


Woher hast du deine Instrumente?


Ich habe ein auf links umgebautes Instrument von Michael Hatting bekommen, bei dem ich auch meine vorherigen kleineren Geigen (Viertel-, Halbe-, Dreiviertel) mietete. Danach spielte ich auf einem auf links umgebauten Instrument des Geigenbauers Florian Geyer. Im Frühjahr 2020 baute dieser eine originale Linkshändergeige für mich, welche ich zuerst mietete und nun kaufen werde.


Warst du mit deinen Instrumenten soweit zufrieden oder hättest du dir gewünscht, mehr Auswahl zu haben?


Mehr Auswahl zu haben, wäre sicherlich gut gewesen. Wobei man sich dann auch in zu vielen Geigen verlieren kann... – ich weiß es nicht, denn soweit kam es ja nie. Bei alten Instrumenten ist nicht abschätzbar, was sich alles am Klang ändert, wenn man sie der Tortur eines Umbaus auf links aussetzt.


Ja, da gibt es ein Risiko... Trotzdem hattest du eine Rechtshändergeige, die auf links umgebaut wurde.


Ja, wobei ich kaum eine Auswahl hatte: Der Geigenbauer stellte genau diese eine seiner Rechtsgeigen für einen Umbau zur Verfügung und meine Eltern und ich willigten ein.


Er hatte dir dieses Instrument also in dem Hinblick ausgesucht, weil dieses für einen Umbau am wenigsten empfindlich sein würde?


Das kann sein und hoffe ich, ja. Meine Eltern hatten sich besonders für das Instrument engagiert, ich war damals noch recht jung.


Welche kuriosen Erlebnisse hattest du schon mit deiner Spielweise?


Komisch ist, wenn die Schnecken aneinandergeraten: Man hebt zusammen die Geigen und es kracht erst einmal. Ansonsten empfinde ich es manchmal als ungewohnt, bei den ersten Geigen im Orchester nicht dem Publikum zuzuspielen. Des Weiteren gab es bisher nicht wirklich etwas, das besonders lustig oder kurios gewesen wäre…


Gab es negative Reaktionen?


Nein. Manchmal hatte ich aber das Gefühl, meine Spielweise rechtfertigen zu müssen. Bisher war ich sowohl in Orchestern als auch in meinem sonstigen Musikerumfeld der einzige Linksspielende. In mir kam die (im Nachhinein betrachtet unnötige) Sorge auf, irgendwie »besser« spielen zu müssen als andere Linkshänder, die jedoch rechtsherum spielen.


Welche Vorteile siehst du für dich im andersherum Spielen?


Den direkten Vergleich zum Rechtsspielen habe ich nicht, kann mir aber vorstellen, dass meine dominante linke Hand einfach stark im Ausdruck ist. Ich könnte mir daher niemals vorstellen, mit meiner rechten Klang zu erzeugen, geschweige denn, ihn nach Außen tragen zu können. Allein die Vorstellung fühlt sich extrem schräg an.


Wie empfindest du die Aufgabenverteilung der Hände beim Geigespielen?


Den Bogenarm empfinde ich als einen großen Atemfluss, der in erster Linie für den Ausdruck verantwortlich ist. Mit der Greifhand bin ich für die Tonhöhe zuständig und kann zudem die Tongebung des Bogens mit Vibrato klanglich abstimmen.


Gibt es noch etwas, das du ergänzen möchtest?


Damals als Anfänger auf der Geige kam ich mir durchaus so vor, als sei ich der einzige, der linksherum lernte und nicht aufgrund einer Verletzung umsattelte. Manchmal war es nicht ganz einfach, diese für mich und meine Eltern selbstverständliche Tatsache anderen klar zu machen – daher auch die zeitweiligen Sorgen, mein Linksspielen rechtfertigen zu müssen, was sich mittlerweile aber gelegt hat.

Als Linksgeiger hatte ich keine Vorbilder bis ich eure Seite entdeckt habe und dachte: »Krass! Es gibt sie ja doch, die Linksspieler! Sogar Professoren, die linksherum unterrichten!«

Ich bin sehr froh, euch gefunden zu haben und denke, dass die Website vielen Menschen dabei helfen wird, eine bewusste Entscheidung bezüglich händigkeitsgerechtem Musizieren zu treffen.

Durch all die Interviews, Blogbeiträge und auch Kontaktmöglichkeiten zu den Musikern, nehme ich auch ein starkes Gemeinschaftsgefühl wahr. Die Seite trägt zur Verantwortung bei, auf händigkeitsgerechtes Musizieren aufmerksam zu machen, ohne dabei ideologisch zu werden. Ich möchte Danke sagen an die Seite Linksgespielt.


Vielen Dank für dieses schöne Kompliment und das interessante Interview, lieber Moritz!



 

Moritz Heller wurde am 23.01.2000 in Filderstadt geboren. Seinen ersten Geigenunterricht erhielt er bei Luigi Albu an der Jugendmusikschule in Ludwigsburg und nahm anschließend Privatunterricht bei Katja Timme. 2014 wechselte er zu Ovidiu Abramovici, dem er seine Violintechnik zu einem Großteil verdankt. Parallel zur Geigenausbildung war er Mitglied der Stuttgarter Hymnus-Chorknaben, wo er eine stimmliche Ausbildung genoss. Schwerpunkte Geige und Gesang wechselten vielfach, insbesondere während des Stimmwechsels lag der Schwerpunkt auf dem Geigenspiel. Eine erfolgreiche Teilnahme bei Jugend musiziert rundete seinen Stimmwechsel ab und rückte den Gesang wieder in den Vordergrund.

Im fachpraktischen Abitur 2018 rundete er mit 15 Punkten auf der Geige seine Laufbahn ab und ließ das Instrument vorerst ruhen. Erst kurz vor der Aufnahmeprüfung zum Wintersemester 2019/20 nahm er sie wieder in die Hand. Er studiert im 9. Semester Schulmusik mit Schwerpunktfach Gesang – die Geige ist zurzeit nicht im Studium präsent.

 

Weitere Beispiele junger MusikerInnen, die von klein auf linkshändig spielen durften:




Titelbild: Schnecke einer originalen Linkshändergeige, um 1900 / Linksgespielt

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