top of page

Geige umlernen als Kind – Lelle Kruip über ihren frühen Seitenwechsel & Vorteile des Linksstreichens

Hier interviewten wir die linkshändige Barockgeigerin Ursula Ros, deren eigener Umlern-Entschluss 2008 durch die Linkshändigkeit einer kleinen Geigenschülerin angestoßen wurde. Sophia Klinke von Linksgespielt hat diese Schülerin von damals getroffen und sich mit ihr über Händigkeit und linkes Musizieren unterhalten.


Wie beschreibst du deine Händigkeit?

Ich bin Linkshänderin, kann aber vieles sehr gut mit beiden Händen tun, da anfänglich eher die rechte Seite gefördert wurde von Kindergarten, Schule und Co.


Deine Eltern wussten also nicht gleich, dass du Linkshänderin bist?

Nein, meine Mutter wusste es erst, nachdem wir einen Händigkeitstest gemacht hatten. Wir wurden extra darauf getestet, weil meine Mutter den Verdacht hatte. Vor allem was schneiden und malen usw. betraf, hatten meine Geschwister und ich das öfter mit der linken Hand gemacht, uns dann aber irgendwann angepasst, weil alle anderen das mit rechts machten, sodass wir das adaptierten. Meine Eltern hatten damals beide noch keinen starken Bezug zu diesem Thema und wussten selbst nicht, dass sie auch Linkshänder sind!


Deine Eltern wussten nicht, dass sie Linkshänder sind?!

Genau. Wir waren damals in die Nähe von Kiel zu einer Händigkeitsspezialistin gefahren und machten dort einen Händigkeitstest. Da kam heraus, dass wir alle Linkshänder sind. Da war ich fünf oder sechs Jahre alt, also kurz vor Schulbeginn. Bei diesem Test wurde das Interesse meiner Eltern geweckt. Sie erfuhren, dass viele Menschen das rechtshändig geprägte Leben als Kinder nachahmen, sich aneignen und daraufhin fälschlicherweise annehmen, selbst Rechtshänder zu sein. Dabei sind sie von Natur aus Linkshänder, die sich an eine rechtshändig geprägte Umwelt anpassen.


Hast du dein Instrument von Anfang an linksrum gelernt?

Nein. Ich habe erst drei Jahre lang rechts herum Geige gespielt. Ich begann mit vier Jahren und habe bis fast sieben, glaube ich, noch rechtsrum gespielt, weil wir nicht von Anfang an das Instrument auf die linke Seite rückschulten. Wir kannten uns zu Beginn nicht aus, wie es sich mit Linkshänderinstrumenten verhält. Aber als ich sieben Jahre alt wurde, war klar, dass ich auch das Musizieren entsprechend meiner Händigkeit ausführen wollte.


Gab es von irgendeiner Seite Vorbehalte dagegen?

Bei der Leitung unserer damaligen Musikschule, mit der meine Eltern auch gut befreundet sind, gab es die Diskussion: ,,Wenn man auch Orchester spielen möchte, lohnt sich das denn dann überhaupt? Es gibt ja viele Leute, die wissen, dass sie linkshändig sind und trotzdem ihr Instrument rechts herum spielen….“ Und dass das angeblich(!) oft gar nicht so Probleme für die Linkshänder bereite... Aber meine Eltern waren der Meinung, dass es wichtig sei und dazu beitragen würde, dass sich mein Talent besser entfaltet, wenn ich für mich richtig herum, also linksherum, spiele.


Ich glaube, dass die Leute, die um ihre Linkshändigkeit wissen, aber trotzdem rechtsrum spielen, einfach nicht den Vergleich zum Linksspielen haben, weil sie es eben nur rechtsrum machen. Also die wissen eigentlich gar nicht, was vielleicht noch alles ,,drin“ wäre an Potenzial und Möglichkeiten.

Genau. Von meinen Eltern und der Geigenlehrerin gab es nur Zustimmung, positive Reaktionen, weil ich vom Rechtsspielen bereits etwas blockiert war: Ich wusste zwar, was ich machen wollte und wie ich das machen sollte, aber die Koordination zwischen Hand und Gehirn hatte nicht so richtig funktioniert. Ich hatte manchmal Blockaden, dass es einfach nicht funktionierte, obwohl ich genau wusste, was ich ausdrücken wollte und wie das zu tun war. Es klang daher nach einer sinnvollen Option, es auf einer Linkshändergeige zu probieren, und ging auch tatsächlich relativ schnell, dass ich das, was ich mit rechts erlernt hatte, auf der Linksgeige irgendwann drauf hatte. Es war gar nicht so, als würde ich wieder von Anfang an beginnen, sondern ich hatte durchaus ein gewisses Vorwissen, auf das ich mich berufen konnte.


Bitte erzähl uns mehr über deine Herangehensweise und den Umlernprozess.

Was waren für dich die größten Herausforderungen am Umlernen, soweit du dich daran erinnern kannst?

Ich weiß es nicht mehr 100-prozentig. Ich weiß, dass es am Anfang natürlich auch frustrierend war, da bereits bestimmte Bewegungsmuster eingeübt waren und ich daraufhin manchmal aus Frustration auf meiner neuen Linksgeige trotzdem noch rechtsrum gespielt hatte – dann natürlich mit Saiten falsch herum. Aber eigentlich hatte sich das Ganze tatsächlich doch relativ unkompliziert gestaltet. Dadurch, dass ich noch so jung war – sieben Jahre. Was ja bei Erwachsenen oft ein bisschen schwieriger ist, wo die Hemmung möglicherweise größer ist, umzulernen.


Woher hast du deine Linkshänderinstrumente?

Meine erste Geige wurde von dem Geigenbauer Frank Frobeen in Hamburg zur Linkshändergeige umgebaut. Später baute er mir, als ich eine ganze Violine (4/4) bekommen sollte, diese direkt auf links. Das war auch, ich glaube, eine seiner ersten Linkshändergeigen, die er direkt baute. Neulich meinte er, dass es inzwischen immer öfter vorkäme, dass Geigen auf links umgebaut werden sollen.


Spielst du im Orchester und wenn ja, was sind dabei deine Erfahrungen bezüglich deiner Seitigkeit?

Ich habe im ,,YouMe!“, das ist das Jugendsinfonieorchester der Jugendmusikschule in Hamburg, gespielt. Etwa zwei, drei Jahre oder ein bisschen länger. Zuvor spielte ich bei uns in der Musikschule im kleinen Orchester, der Jugendakademie Harburg, sowie immer wieder in den Ferien in anderen Orchestern. Tatsächlich war das vielen am Anfang gar nicht aufgefallen, dass ich andersrum spiele.


…außer den Mitspielern, oder?

Genau. Sogar nur außer dem direkten Pultnachbarn, weil es im engen Orchestergraben doch manchmal ein bisschen schwierig ist und man schauen muss, auf welcher Seite man sitzt, damit man nicht mit den Bögen aneinander gerät. Aber das ließ sich immer leicht klären. Die Dirigentin war auch sehr offen und meinte: „Ja, das ist total cool und wir machen das irgendwie, dass das funktioniert mit dem Platz.“ Sie hatte mich ebenfalls sehr darin unterstützt. Ich war die einzige, die links spielte, aber etwas Negatives von außen war nie aufgekommen.


Dann gab es also keine negativen Reaktionen?

Nein, auf keinen Fall. Negativ niemals. Die Leute waren eher verwundert und interessiert, aber nie negativ diesbezüglich eingestellt.


Welche Vorteile siehst du für dich darin, linksherum zu spielen?

Der größte Vorteil ist, dass es mit meiner Händigkeit übereinstimmt und ich dadurch mein volles Potenzial nutzen kann – was, wenn man nicht entsprechend seiner Händigkeit spielt, nicht hundertprozentig gegeben ist. Früher hatte ich ja diese Blockaden, als ich noch rechts herum spielte, und die kamen seit dem Linksspielen nicht mehr zurück. Es ist jetzt auf jeden Fall so, wie es sein sollte, und das ist der größte Vorteil.


Gibt es noch etwas, das du sagen möchtest?


Ich finde sehr gut, dass ihr die Homepage betreibt. Die Aufmerksamkeit verdient es auf jeden Fall. Es sollte nicht mehr ,,ganz normal“ sein, immer mit rechts zu spielen und von Anfang an auf diese Seite gepolt zu werden, wenn man Linkshänder ist. Man kann durchaus mit links sehr schön spielen. :)

Ich bin sehr dankbar, dass meine Eltern sich so unterstützend zeigten und sich dafür eingesetzt haben. Natürlich mitunter auch gegen mein „Ach, nein, das passt ja schon irgendwie so.“ Klar – man will nicht unbedingt anders sein und herausstechen. Meine Eltern allerdings bestärkten mich und gaben mir immer das Gefühl, dass es nichts Schlechtes sei, jetzt nochmal neu anzufangen, sondern dass man, wenn man sich selbst authentisch leben möchte, genauso sehr annehmen sollte, wer man ist und wie herum man beispielsweise auch sein Instrument spielen möchte.


Vielen Dank, liebe Lelle, für dieses schöne Gespräch!


 
 

Titelbild © Alexander Englert


Ähnliche Beiträge

Alle ansehen
bottom of page