"Händigkeitsgerechtes Leben ist Gesundheitsprophylaxe" – Heidi mit dem Linkshänderklavier
Wie beschreibst du deine Händigkeit?
Das ist für mich eine sehr schwierige Frage und wird immer mit Ambivalenz behaftet sein:
Ich lebte bis zu meinem 49. Lebensjahr als gefühlte Rechtshänderin ohne zu wissen, dass ich genetisch Linkshänderin bin (Gefühle können täuschen!): Alle angelernten und abgeschauten Handlungen erledigte ich mit der rechten Hand als Bewegungshand und der linken Hand als Haltehand. Ich lernte alle Handarbeiten rechts herum und mit der rechten Hand schreiben. Als Kind war meine Handschrift ausgefeilt schön. Wahrscheinlich habe ich die Buchstaben eher gemalt. Je schneller ich zum Schreiben gezwungen bin, desto weniger lesbar ist meine Schrift…
Was bei mir wirklich auffällig war:
- Ich war über Jahrzehnte sehr schwer krank, ohne dass mir einer der über 100 konsultierten Ärzte hätte erklären können, wieso...
- Mein musikalisches Lernen am Klavier erfolgte extrem langsam, mühevoll und inadäquat zu meinen sonstigen intellektuellen Fähigkeiten: Das Zusammenspiel meiner beiden Hände erfolgte nie wirklich unabhängig voneinander. Ich hatte sehr viele Klavierschulen zu Hause und kam meist über den ersten Band nicht hinaus.
Nun putze ich seit circa zehn Jahren meine Zähne mit der linken Hand, um morgens mit meiner richtigen Hand zu starten und habe auch sonst meine linke Hand wesentlich mehr mobilisiert, feinmotorisch aktiviert, einbezogen und umgestellt. Trotzdem wird aus dieser linken Hand im Moment gefühlt keine „rechte“ mehr. Insgesamt war der Prozess für mich viel zu spät. Ich fühle mich nur selten linkshändig, außer am Klavier. Nur am Linkshänderklavier fühle ich mich richtig und kann musikalische Bewegungsabläufe und Geschwindigkeiten lernen, die mir vorher versagt blieben.
Diese Prozesse verlaufen allerdings in altersadäquater Geschwindigkeit (ich bin 1963 geboren) und nicht mit der Lerngeschwindigkeit einer Pubertierenden. Insgesamt lassen sich die gewachsenen Wege im Gehirn, die sich in 45 Jahren heraus gebildet haben, nicht in kurzer Zeit verändern.
Meine rechte Hand ist bei Trillern und anderen schnellen Bewegungsabläufen immer noch schneller als die Linke, aber das Zusammenspiel beider, die gesamte Koordination und Konzentration sind deutlich besser. Insofern bleibt auch am Klavier die oben beschriebene Ambivalenz erhalten.
Hast du dein Instrument von Anfang an „linksrum“ gelernt?
Nein. Ich begann 1973 mit dem Klavierspiel. 2001 hat Blüthner den ersten modernen Linkshänderflügel gebaut.
Ab 2001 beschäftigte ich mich sehr mit musikalischem Lernen und Klavierspiel. Im Dezember 2011 beim Lesen von Frau Dr. Sattlers Klassiker „Der umgeschulte Linkshänder oder der Knoten im Gehirn“ erkannte ich meine Linkshändigkeit. Ich erfuhr dann leider erst im Juni 2012 dass es überhaupt Linkshänder-Tasteninstrumente gibt.
Vielleicht hätte ich ein Linkshänderklavier in einem Klaviergeschäft oder einer Musikschule ausprobiert, wenn mal eines rumgestanden hätte, und den Unterschied bemerkt...
Wann hast du umgelernt und weshalb?
Ich hatte ab November 2012 mit 49 Lebensjahren ein E-Piano und ab März 2014 ein akustisches Klavier zur Verfügung und begann damit, das Klavier völlig neu zu erfahren. Ich empfinde das Wort Umlernen als nicht ganz passend. Für mich war es eher ein Neulernen auf eine völlig andere Art. So, wie wenn ich ein Instrument von vorne beginne, und am Anfang auch problematisch.
I) Ein Grund für die Benutzung des Linkshänderklaviers war, dass ich nie über ein bestimmtes sehr niedriges musikalisches Spielniveau hinaus gekommen bin:
- Ich konnte fast nichts auswendig spielen.
- Ich konnte trotz vieler Versuche und wiederholten Übens keine Melodie übers Ohr abnehmen und auf dem Klavier nachspielen. Dabei hatte ich mehrere Jahre Gesangsunterricht!
- Mein musikalisches Gehör war extrem unterentwickelt.
- Mein Rhythmusgefühl war eine Katastrophe.
- Richtig schnelle Stücke oder Passagen konnte ich nie in adäquat hoher Geschwindigkeit spielen.
- Ich hatte keine Unabhängigkeit beider Hände.
Stücke, wo die Noten mit der rechten und linken Hand nacheinander erfolgen („C-Dur-Präludium“ von Bach, „Gesang der Engel“ von Burgmüller, „Paradiesvogel“ von Raphael), konnte ich einigermaßen klangvoll spielen. Stücke, wo die Hände total verschiedene Stimmen spielen, waren für mich trotz mühevollen Übens unerreichbar.
Ich müsste mir eher die Frage stellen: Warum habe ich das Klavierspiel nicht einfach aufgegeben? Mit echtem Musizieren hatte mein Klavierspiel nach 40 Jahren Praxis nichts zu tun. Ich schaute immer auf die Hände der anderen. Das sah so leicht aus und meine Hände waren ja auch sehr geschickt und fragte mich weiterhin, warum das bei mir nicht geht...
II) Der zweite Grund für das „Umlernen“ war mein schlechter Gesundheitszustand.
Wie hätte sich sonst mein Gehirn wieder etwas verbessern sollen, wenn es nicht hirnhälftengerecht gefordert wird?
Umtrainieren der im Alltag sitzenden Handgriffe erwies sich in meinem Alter nach einer gewissen extrem überfordernden Ausprobierphase als ziemlich sinnlos. Ich benutze mein Linkshänder-Portemonnaie, 2012 erstanden, trotz vieler Umlernversuche wie eine Rechtshänderin... Um es gleich vorweg zu nehmen: Seit 2012 hat sich mein Gesundheitszustand mit mehr oder weniger eingeschobenen vergänglichen Krisen kontinuierlich deutlich verbessert. Von mir kann ich heute behaupten, dass ich momentan mit fast 60 den besten Gesundheitszustand meines Lebens überhaupt habe, auch wenn ich mich mit gesunden Menschen meines Alters nicht wirklich vergleichen kann.
Punkt I und II haben also funktioniert – man darf die Fortschritte nur nicht zu früh erwarten und die Latte zu hoch ansetzen.
Bitte erzähl uns mehr über deine Herangehensweise und den Umlernprozess.
Nachdem ich im Juni 2012 an einem unvergesslichen Seminar von Walter Mengler über linkshändiges Musizieren teilgenommen hatte, beschloss ich, das am Klavier für mich auszuprobieren. Mehr darüber steht in meinem Artikel in der Piano News, der hier verlinkt ist. Ich besorgte mir die oben erwähnten Instrumente und legte autodidaktisch los.
Der Anfang war hart. Ich hatte ja schon 40(!) Jahre am Rechtshänderklavier verbracht. Wer nach einem kürzeren Lernprozess – vielleicht von zwei oder sogar bis zehn Jahren – das Klavier wechselt und insgesamt deutlich jünger ist, hat es da wahrscheinlich leichter. Am Anfang war es mir unmöglich, auch nur eine leichte Melodie im Parallelspiel beider Hände am neuen Instrument auszuführen. Irgendwie scheine ich aber mit Ausdauer gesegnet zu sein. Ich blieb dran, unterbrochen von kranken Phasen, wo ich nicht Spielen konnte, und Reisephasen. Es gab Jahre, da war ich 20 Wochen nicht zu Hause und hatte insofern auch kein Linkshänderklavier zur Verfügung. Im Grunde keine guten Bedingungen, um mit über 50 Jahren das Klavierspiel kontinuierlich deutlich zu verbessern…
Heute freue ich mich darüber
- das „Ave Maria“ von Schubert auswendig spielen zu können (Stücke mit schwarzen Tasten waren für mich früher oft nur mit vielen Fehlern spielbar, weil meine Finger immer an andere Stellen greifen wollten),
- mich bei Mozarts „Komm lieber Mai und mache“ selbst auswendig begleiten zu können (ich konnte die einfachsten Kinderlieder nicht gleichzeitig spielen und singen).
- ganz einfache Stücke transponieren zu können.
- das ein oder andere Stück mittleren Schwierigkeitsgrades auswendig zu spielen.
Mein Repertoire ist klein. Fühlt sich aber außer den seltener gewordenen Konzentrationsstörungen gut an. Ich wünsche mir einfach mehr Zeit für systematisches kontinuierliches Üben am Linkshänderklavier. Das würde jetzt wirklich was bringen.
Was sind für dich die größten Herausforderungen am Umlernen?
- Notenschrift
- vom Blattspiel
- Zusammenspiel mit anderen Menschen
- Einsamkeit am Klavier
- Motivation
- fehlendes Klavierstudium
- Diskriminierung der Linkshänder
NOTENSCHRIFT
Eine große Herausforderung für mich ist die Notenschrift.
Mir war es nicht möglich, die Notenschrift so beizubehalten, wie ich es gewohnt war, da für mich die linke Hand an die untere Notenzeile (Bass) und die rechte Hand (Diskant) an die obere Notenzeile über 40 Jahre gehirntechnisch angebunden war. Beim Linkshänderklavier ist das genau umgekehrt. Dadurch kam es oft zu Verwechslungen, die ein flüssiges Spiel stören. Mit der von Geza Loso entwickelten Notenschrift für Linkshänder kam ich leider auch nicht zurecht.
Ich begann zu experimentieren und die Noten vertikal zu spiegeln. Bei neuen komplizierteren Stücken ist meine Lesegeschwindigkeit allerdings damit auch nicht hoch.
Zum Üben, indem ich nur Noten mitlese beim Musikhören, habe ich nicht ausreichend Material zur Verfügung. Die Herstellung vom gespiegelten Notenmaterial ist für mich recht aufwendig, da ich auch die Notenzeilen in der Reihenfolge tauschen musste, so dass ich mit der unteren Zeile zuerst zu lesen beginne. Dann war der Fluss des Lesens bei meinen Augen gewährleistet.
Nach sieben Jahren Benutzen von gespiegelten Noten ist es mir seit Anfang 2022 besser möglich, nun wieder die übliche Notenschrift zu verwenden. Ich kann sie jetzt flüssiger lesen, erkenne die Harmonien besser. Die Verwendung führt allerdings ab und zu bei neuen Stücken zur Verwechslung der Hände im Spielverlauf.
VOM-BLATT-SPIEL
ist für mich ein ungelöstes Problem. Es funktioniert nur bei extrem leichten Stücken. Korrepetieren hätte mich sehr interessiert. Momentan kann ich mir aber kaum vorstellen, mein Klavierspiel so zu verbessern, dass das funktionieren würde. Ich kann heute manche Stücke deutlich schneller auswendig spielen, als ich sie überhaupt lesen kann.
ZUSAMMENSPIEL mit anderen KlavierliebhaberInnen
Ich wohne in der Peripherie in einem kleinen Dorf. Es ist kaum möglich, jemand für vierhändiges Klavierspiel zu gewinnen, der/die sich auf mein Spielniveau einstellen kann. Ich habe mein Rechtshänder- und Linkshänderklavier nebeneinander stehen, auf gleiche Tonhöhe gestimmt. Also die Voraussetzungen dafür sind gegeben. Vielleicht ist es aber auch ein Problem der heutigen Zeit, dass man sich für vierhändiges Klavierspiel einfach keine Zeit mehr nimmt und das nur noch bei Spitzenduos vorkommt...
EINSAMKEIT
Ein anderer Klavierliebhaber, der seit mehreren Jahren ein elektrisches Linkshänderklavier benutzt, beschrieb den Prozess so: „Am Linkshänderklavier ist man mega einsam“. Man kann es ja auch nicht so ohne weiteres für Straßenmusik mitnehmen. Mein Mann und ich leben ohne Auto.
MOTIVATION
Mir geht öfters die Motivation verloren. Manchmal komplett. Dann möchte ich alles hinschmeißen. Aber irgendwie kommt sie dann wieder. Das stört trotzdem sehr.
Viele Musiker üben und spielen auf ein Ereignis hin, worauf sie sich freuen. Ich kann nur ganz selten jemandem vorspielen, vierhändiges Spiel ergibt sich weniger als einmal im Jahr. Ich übe auch kaum vierhändige Stücke im Voraus, da ich sie ja fast nie einsetzen kann und auch nicht weiß, was der fiktive Partner dann abspielen kann und mag. Kammermusikerinnen verirren sich auch nur ganz selten in meine Wohnung. Wobei ich sogar manche Stücke ganz passabel spielen könnte. Da finden dann andere aber diese Stücke viel zu „abgelutscht“. Und manchmal nervt es mich mächtig, dass ich nicht schneller und systematischer lernen kann, mein Repertoire so klein ist.
Manche Prozesse laufen einfach im Zusammenspiel mit anderen besser, wenn man sich aufeinander freut, sich aufeinander einstellt. Mit dem Linkshänder-Klavier ist das möglicherweise auch in Zukunft fast nicht zu erwarten, da ja nirgendwo so ein Instrument rum steht: in fast keinem Musikgeschäft, in keiner Hochschule, in keiner Musikschule, in keinem Café…
KLAVIERSTUDIUM
Außerdem hatte ich nicht die Möglichkeit, Klavier wirklich zu studieren. Mir ist nicht bekannt, dass in irgendeiner Hochschule ein Linkshänderklavier oder -flügel existieren würde. Falls das mal vorkommt, kann man mich ja informieren.
Es gibt Klavierspieler, die später umtrainiert haben und ein systematisches Klavierstudium vorher hatten, die sich natürlich musikalisch deutlich besser auskennen und auch klavierdidaktisch mehrere Jahre deutlich besser versorgt waren, sodass sie autodidaktisch strukturierter vorgehen können.
DISKRIMINIERUNG
Seit ich weiß, dass ich Linkshänderin bin, und seitdem ich mich am Linkshänderklavier vorwärts entwickelten will, habe ich erfahren, was Diskriminierung bedeutet.
Leider habe ich bei diesem Kapitel gleich an drei Stellen voll zugelangt:
– Händigkeit
– chronische Krankheit
– und jetzt kommt das Alter auch noch dazu…
Wer nimmt schon eine 60-jährige zu ähnlichen Bedingungen wie eine Jugendliche zum Klavierstudium an und dann noch eine „Paraolympionikin“ mit lädiertem Nervensystem, keine Olympionikin?
Früher hat man in China den kleinen Mädchen in der Babyzeit die Füße zu Klumpfüßen gewickelt, damit sie später ihren Männern nicht davon laufen konnten. Wenn im erwachsenen Alter die Binden von den Füßen abgenommen wurden, waren die Frauen auch nicht mehr in der Lage Spitzenläuferinnen zu werden. Wie das beim Gehirn ist, kann ich nicht wirklich voraussagen, aber ich befürchte, es wird ähnlich sein. Sollten Gehirnforscher komplett andere Erfahrungen gemacht haben, so möchte ich bitte informiert werden und in eine so optimale Lernumgebung transportiert werden, die solche Erfahrungen ermöglicht.
Hattest du beim Erlernen des Linkshänderklaviers Unterstützung?
Viel zu wenig. Die meisten Klavierlehrer stehen dem Linkshänderklavier extrem skeptisch gegenüber. Von daher hatte ich keine kontinuierliche Unterstützung. Geza Loso in Trier ist für mich zu weit weg. Wenn sich mal wirklich jemand dafür interessiert, dann wohnt er oder sie weit weg. Und selbst wenn ich hinfahren würde, steht mir dort kein Instrument zur Verfügung.
Jetzt wird es noch komplizierter: Mein Linkshänderklavier hat seit Mai 2022 eine schmalere Tastatur, da ich keine großen Hände habe und erheblich Griffschwierigkeiten und Schmerzprobleme beim Spielen hatte.
Ein Klavier ist nicht so transportabel im öffentlichen Verkehr wie eine Geige oder eine Gitarre. Durch Corona haben sich die Bedingungen für Fernunterricht sehr verbessert. Ich müsste erneut auf die Suche gehen… Allerdings fehlen mir beim Klavierspielen auch noch bewegungstechnische Elemente, die sich sicher nicht nur im Fernunterricht vermitteln lassen.
Wenn jemand ernsthaft Interesse hat, mich bei diesem Prozess am Klavier kontinuierlich zu unterstützen, so kann er sich bei mir melden.
Konntest du dich mit anderen Linksspielenden oder Umlernenden austauschen?
Ich weiß mittlerweile von über 30 linksspielenden Tasteninstrumentlern. Der Austausch ist noch eher spärlich. Das ist der Grund, weshalb ich in diesem Jahr am letzten Mai-Wochenende 2022 ein Treffen organisiert habe, wo diese Menschen zueinander kamen und sich austauschen konnten. Siehe hier, den ersten Newsletter über linkshändiges Klavierspiel mit Nachbericht zum Treffen. Über Kontakt und neue Adressen diesbezüglich bin ich sehr dankbar.
Spielst du heute noch rechtsrum, und wenn ja, in welchem Kontext?
Ich benutze Rechtshänderklaviere, wenn ich Veranstaltungen außerhalb meiner Wohnung habe und dafür übe. Manchmal spiele ich in einer Seniorenresidenz für die Einwohner und das Personal oder ich setze mich in einem Café an ein vorhandenes Klavier, wenn keiner etwas dagegen hat. Außerdem gibt es Stücke, die ich am Linkshänderklavier noch nicht so gut beherrsche, die ich aber gerne spiele und mir die Fähigkeiten dafür erhalten möchte. Ich probiere manchmal Klaviere in Klaviergeschäften aus oder Orgeln in Kirchen.
Ich habe keine Schwierigkeiten, vom Linkshänderklavier auf das Rechtshänderklavier oder umgekehrt zu wechseln. Bei mir zu Hause stehen sie nebeneinander und wenn ich bestimmte Ideen umsetzen will, dann gehe ich einfach an das Klavier, welches ich dafür vorgesehen habe.
Inwiefern fühlen sich die beiden Spielrichtungen für dich unterschiedlich an?
Da kann ich nur bestätigen, was andere über rechts- und linkshändiges Musizieren schon geschrieben haben: Am Linkshänderklavier erlebe ich eine erhöhte Spielsicherheit, deutlich bessere Konzentration, mehr Griffsicherheit, verbesserte Rhythmik, höhere Spielgeschwindigkeit, Flow, mehr Ausdauer und so eine innere Freude.
Was völlig anders ist, ist die Wahrnehmung für den Raum um mich herum, für die Umgebung.
Wenn ich am Rechtshänderklavier spiele, geht jegliche Konzentration in die Treffsicherheit auf die Tasten. Für die Aufmerksamkeit im Raum um mich herum, zu Leuten, die mir zuhören, oder zum zweiten Spieler bei vierhändigem Spiel ist keine Kapazität vorhanden. Am Linkshänder-Klavier kann ich meine Hände einfach spielen lassen. Wenn ich einen einfachen Bass spiele zu einer Oberstimme, kann ich mich mit Blickkontakt dem Mitspieler oder Schüler zuwenden, ich kann wahrnehmen, wie das Publikum reagiert.
Ich fühle mich viel freier. Könnte auch etwas sprechen, wenn ein Hinweis notwendig ist.
Und wenn ich auswendig spiele, was am Rechtshänderklavier so gut wie überhaupt nicht geht, kann ich auch noch meine Umgebung wahrnehmen.
Die oben beschriebenen Schwierigkeiten beim Notenlesen am Linkshänderklavier bestehen weiterhin, verbessern sich derzeit aber kontinuierlich.
Am Rechtshänderklavier haben sich bei mir durch die Benutzung des Linkshänderklavieres viele Schwierigkeiten deutlich verbessert. Die Grenzen sind mir dort aber enger gesteckt und der Aufwand der Verbesserung deutlich höher. Ich vermute, dass die Verbesserungen daran liegen, dass ich durch die meiner ursprünglichen Funktionsweise des Gehirns gerechtere Benutzung jetzt wieder eine höhere Flexibilität erlangt habe.
Woher hast du deine Instrumente?
Das waren alles mehr oder weniger Zufallskäufe:
1. Kurzweil PC3LE 8 von Thomann (Herbst 2012): Ich bin einfach hingefahren, obwohl ich vorher recherchiert hatte, dass es dort keine Instrumente mit Spiegelmodus geben soll. Dieses Instrument kann man heute nicht mehr so kaufen, vielleicht bekommt man es noch bei eBay. Die Nachfolger haben nicht mehr die Möglichkeit, jede Taste auf eine beliebige Tonhöhe einzustellen, und der Komplettspiegelmodus auf links ist auch raus. Der große Nachteil für mich bei diesem Instrument sind die externen Lautsprecher. Es ist ein echtes Bühneninstrument für Profis und ich werde die Möglichkeiten, die es bietet, leider nie ausschöpfen.
2. Pro-88 von Blüthner (2016) habe ich im Internet erstanden. Ich suchte für eine Schülerin ein Instrument, was dann von ihren Eltern doch nicht gekauft wurde.
3. Pro-88 EX -> Nachfolger von 2. (2020) von Blüthner habe ich direkt bei Blüthner gekauft. Ist mit meinem gespiegelten Orgelpedal als Prototyp einer der ersten gespielten Orgeln gekoppelt. Der Umschaltmodus auf das Spiegeln ist etwas komplizierter als beim Vorgänger und im Menü versteckt, aber möglich. Es ist gut zu benutzen, wenn man nicht ständig hin und her umstellen möchte.
4. Mein akustisches Klavier Haessler H 124 hat Blüthner im Winterhalbjahr 2013/14 für mich gebaut. Ich habe es über meinen Klavierhändler in Kempten recht günstig erstanden.
Ich habe damals nicht mehr dafür bezahlt als für den selben Typ im Rechtshänder-Modus, wenn ich diesen in einem Münchner Geschäft gekauft hätte. Das hat sich leider jetzt total verschlechtert: Heute sind Linkshänderklaviere viel teurer als Rechtshänderklaviere.
Das erhöht natürlich extrem die Schwelle für Lehrinstitute, die das ausprobieren wollen, sich so ein Instrument anzuschaffen – für Schülereltern ebenso.
Ich empfinde das heute als super diskriminierend, in einem Land, wo so viel über Gleichstellung geredet wird, da das ja wirklich sehr viele junge Menschen bräuchten. Wenn ich auf meinen Weg zurückblicke, hatte ich einfach Glück gehabt.
Wurdest du mit negativen Reaktionen oder Vorbehalten gegen das Linksspielen konfrontiert?
Ja, hauptsächlich von Hochschul-Klavierprofessoren, Ärzten und Professoren in Musik-Physiologie, angeblichen Hirnforschern. Hauptsächlich von Leuten, die sich nie ernsthaft damit beschäftigt haben, den Unterschied selbst nicht ausprobiert haben, aber eine Meinung dazu haben; außerdem von Menschen, die selbst unbewusst betroffen sind und wo sich alle Vorurteile weiterhin im Kopf abspielen.
Welche kuriosen Erlebnisse hattest du schon mit deiner Spielweise?
Kuriose Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Linkshänderklavier sind schwierig zu sagen, da ich seit 2016 kaum Kontakt mit dem Klavier und mit anderen Menschen habe. Wenn sich mal jemand davor setzt, dem ich nichts vom Linkshänderklavier erzählt habe, und dann Sachen gespielt werden, folgt manchmal der Satz: „Das klingt aber hier ganz anders als bei mir zu Hause.“
Was noch interessant ist zu berichten: Wenn ich Menschen wählen lasse, egal ob Erwachsene oder Kinder, die vorher nichts mit dem Klavier zu tun hatten, direkt das erste Mal überhaupt Tasten berühren, und ich lasse sie beide Klaviere ausprobieren, ermutige zu spielen, zu improvisieren ohne ihnen etwas darüber gesagt zu haben. Dann passiert meist dasselbe:
Ich frage hinterher, welches Klavier für sie besser passen würde und bis jetzt haben sich von etwa 15 Leuten alle intuitiv für das ihrer Händigkeit entsprechende Klavier entschieden.
Was wirklich kurios war, war der Kauf des ersten E-Pianos bei Thomann. Ganz ausführlich beschreibe ich den in meinem begonnenen Buch: „Heidis Suche nach dem richtigen Klavier“. Vorab schonmal so viel: Ich war schon vier Stunden im Geschäft bei Thomann, hatte vorher viel im Internet recherchiert, hatte im Grunde innen drin schon resigniert und aufgegeben. Ich arbeitete die Liste der anderen Dinge ab, die ich noch brauchte zur Verbesserung meiner musikalischen Fähigkeiten.
Um ein gutes Aufnahmegerät zu kaufen, landete ich in der Stage-Piano-Abteilung – wieder Tasten! Dort bediente mich der Lehrling. Er fragte, was ich denn noch so brauche. Da erklärte ich ihm nochmals mein Problem. Und der Witz daran war: Er war der einzige, der wusste, dass Thomann eben doch so ein Klavier mit Spiegelfunktion im Hause hatte!
Der Lehrling bestellte es dann hoch in die Abteilung und wir stellten es auf den Spiegelmodus ein. Das war einer der berührendsten Tage meines Lebens.
Und noch etwas: Dem Linksgeiger im Bad Reichenhaller Orchester habe ich vor ein paar Jahren von meinem Linkshänder-Klavier erzählt. Da hatte er noch nie was von gehört. Jetzt im April war ich da und ich habe es ihm wieder erzählt. Da war es für ihn wieder neu, dass es ein Linkshänder-Klavier gibt. In einer Münchner Musikhandlung ist mir das mit einer Verkäuferin genauso gegangen...
Du engagierst dich sehr für die Verbreitung linker Tasteninstrumente. Was ist dein Plan für die Zukunft?
Einen wirklichen Plan habe ich nicht. In meinem Leben hat nur ganz selten etwas nach Plan funktioniert. Da genügt ein Blick auf den Prozess meines Lernens am Klavier. Das Planen habe ich längst aufgegeben.
Wichtig ist, immer an der richtigen Stelle zu sein, um wirklich etwas zu bewirken. Zur richtigen Zeit die richtigen Menschen kennenzulernen, die neidlos vernetzt zusammenarbeiten. Es muss Aufklärungsarbeit geleistet werden und verständliches Informationsmaterial erstellt werden. Deshalb habe ich mich entschlossen, das oben erwähnte Buch über meinen Prozess am Klavier zu schreiben.
Es braucht günstige Einsteiger-Instrumente und zwar elektronische und akustische! Dafür müssen Firmen gefunden und gewonnen werden.
Die Lehrer für Tasteninstrumente im Musikschul- und Hochschulbereich müssen überzeugt werden, dass händigkeitsgerechter Klavierunterricht das Mittel der Wahl ist und dass dieses nicht in die Zukunft verschoben, sondern in der Gegenwart realisiert werden sollte. – Zu Vorführungen und Einführungen am Linkshänderklavier bin ich gerne bereit.
Ich denke über eine Petition nach, die das linkshändige Lernen auf die gleiche Ebene stellt, wie es heute für Rechtshänder üblich ist.
Händigkeitsgerechtes Leben, egal in welchem Bereich, ist Gesundheitsprophylaxe und dient der Verhinderung der Entwicklung von chronischen Erkrankungen und Lernstörungen.
Im Grunde meines Herzens bin ich Ärztin, auch wenn ich krankheitsbedingt diesen Beruf schon über Jahre nicht mehr ausüben konnte und mich mehr auf die erfolgreiche Suche nach differenzierten Krankheitsursachen begeben habe. Nur die Beseitigung echter Krankheitsursachen ermöglicht Heilungschancen auf lange Sicht über den kurzfristigen Placeboeffekt hinaus.