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Gespiegelte Tastatur am E-Piano – Meine Reise zur linkshändigen Identität


Wie Schuppen fiel es mir von den Augen, als ich im bereits fortgeschrittenen Erwachsenenalter – mit über 30 – meiner Linkshändigkeit bewusst wurde. Mein Klavierprofessor machte mich damals bei einer Fortbildung auf meine Linkshändigkeit aufmerksam, was mich überraschte, dachte ich doch, Rechtshänderin zu sein.


Später wurde mir immer klarer, dass er wahrscheinlich ins Schwarze getroffen hatte. Nun erklärten sich viele meiner Probleme, die ich zum Teil bereits in der Schule gehabt hatte, und ich fühlte mich tief im Inneren als Linkshänderin. Sofort begann ich, mit der linken Hand zu schreiben, was schwer war, sich aber trotzdem gut anfühlte. Spiegelschrift gelang sofort. Ein Händigkeitstest bei der Münchner Beratungsstelle für Linkshänder bestätigte, dass ich eine stark auf rechts programmierte Linkshänderin bin – umgeschult wahrscheinlich im frühen Kindesalter oder durch Nachahmung der rechtshändigen Umgebung.


Meine Erschütterung über die Folgen der Umerziehung waren genauso groß wie der Wille, meine

Identität als Linkshänderin zu finden und zu leben. Und so schreibe ich nun seit Jahren ausschließlich mit der linken Hand. Dass die Rückschulung auf die dominante Hand nicht immer zun Erfolg führt und nicht leicht ist und dass auch der Urzustand der Händigkeit nicht so einfach wiederhergestellt werden kann, las und hörte ich öfter auch von Fachleuten. Trotzdem war ich sicher, mir nicht zu schaden, und ging meinen Weg unbeirrt weiter.


Dieser Weg führte mich auch dahin, nach Lösungen für ein entspannteres Körpergefühl und eine harmonische Verbindung zum Instrument zu suchen, da ich spürte, dass es nicht stimmig war. Der Gedanke, an einem gespiegelten Instrument zu spielen, faszinierte mich von Anfang an – seit ich das erste Mal davon erfuhr.

Viele meiner Kollegen fanden das linkshändige Spiel absurd und meinten, es sei wichtiger, mein bereits erlerntes Spiel als Pianistin zu verbessern, als "die Hände umzudrehen" und damit eventuell eine starke Verwirrung zu riskieren. Das Klavier sei außerdem ein Instrument, bei dem beide Hände synchrone Bewegungsabläufe trainieren würden, und daher gleichwertig für beide Seiten.


Trotzdem spürte ich in mir den Drang, auf einem Linkshänder-Instrument zu spielen und herauszufinden, was sich damit verändert. Mental übte ich schon spiegelverkehrt. Als ich im Jahre 2016 von dem E-Piano "Blüthner pro 88" mit Linkshänder-Tastatur in Kenntnis gesetzt wurde, wagte ich das Experiment. Ich kaufte das Instrument.


Mit Übung gelang es mir schon nach kurzer Zeit, einige Stücke gespiegelt zu spielen. Beide Hände wurden besser und ich bekam mehr Klarheit über Aufbau und Struktur der Stücke. Das Wechseln zwischen beiden Spielweisen stellt keinen Widerspruch oder Konflikt dar, auch keine Verwirrung. Wenn sich mein Traum eines echten Linkshänderklaviers eines Tages erfüllen sollte, werde ich mich ganz für die linke Spielweise entscheiden.



Präludium in c von J. S. Bach – oben: am E-Piano mit gespiegelter Tastatur, unten: am herkömmlichen (Rechtshänder-)Klavier



Bei einem Seminar für Klavierlehrer, in dessen Rahmen ich auf Anfrage der Teilnehmer das Linkshänder-Klavier vorstellte, bemerkte ich, dass die Beteiligten – alles Pianisten – zwar interessiert waren, aber eher abwartend und wenig experimentierfreudig reagierten – auch die Linkshänder unter ihnen.


Wenn es irgendwann gesicherte Forschungsergebnisse über den Vorteil der linkshändigen Spielweise für die linkshändige Allgemeinheit gibt, werde ich auch Schüler auf dem gespiegelten Instrument unterrichten. Solange bin ich in regem Austausch mit meinen gleichgesinnten Kollegen und versuche, meine Schüler durch Entspannungsübungen zu unterstützen.


 

"Le petit noir" von C. Debussy – oben: linkshändig gespielt auf gespiegelter Tastatur, Mitte: linkshändig gespielt auf konventioneller Tastatur, unten: rechtshändig gespielt auf konventioneller Tastatur







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