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»Endlich die Handbremse gelöst« – Linkshänder Peer Oehlschlägel über sein Umlernen am Schlagzeug

»Wenn ich linksherum spiele, atme ich freier und kann dadurch insgesamt entspannter spielen. Zudem fühle ich die Musik viel intensiver und das permanent: Ich spiele etwas, bin emotional voll dabei und selber gerührt von dem, was dabei rauskommt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich das rechtsspielend auch so erlebte, obwohl ich früher mindestens genauso leidenschaftlich dabei war.«


Der linkshändige Schlagzeuger Peer Oehlschlägel

Wie beschreibst du deine Händigkeit?


Die meiste Zeit meines Leben war ich umgeschulter Linkshänder, ohne dies gewusst zu haben. Seit ich um meine Linkshändigkeit weiß, achte ich darauf, so vieles wie möglich mit links zu machen. Dennoch gib es immer wieder Dinge, die ich erlernterweise mit rechts tätige und werde mir daraufhin jedes Mal bewusst, dass ich mich irgendwo noch immer in der Rückschulung befinde: Erst mit 36 Jahren war ich überhaupt dahinter gekommen, Linkshänder zu sein. Bis dahin war ich als Rechtshänder unterwegs und nun also seit 20 Jahren als Linkshänder.

Immer wieder gibt es Situationen, in denen ich mit Werkzeugen in Kontakt komme, die ich viele Jahre lang nicht benutzt habe – etwa eine Kreissäge. Dann stelle ich fest: »Oh Moment, du hast dich zurückgeschult bzw. bist noch dabei. Benutze das Werkzeug doch linkshändig.«



Wie hast du deine Linkshändigkeit entdeckt?


Ein Indiz war, dass ich schon immer wie ein Linkshänder mit Messer und Gabel gegessen habe. Mit links zu schneiden und mit rechts zu essen, hatte ich mir in jungen Jahren angeeignet. Das hatte manche Leute sogar ein bisschen verblüfft, mich selber aber nie, denn ich war überzeugter Rechtshänder. Später konnte ich mir natürlich einen Reim darauf machen: Da mir bei der Benutzung von Messer und Gabel damals zum Glück nichts vorgeschrieben wurde und so machte ich das, wie es für mich passt. Beim Schreiben weiß ich nicht, ob ich umgeschult wurde oder mich selber umgeschult hatte.


Der klare Zusammenhang kam, als mich jemand im Alter von 36 Jahren ansprach und sagte: »Bist du dir sicher, Rechtshänder zu sein? Denn du isst wie ein Linkshänder.«

Daraufhin begann ich zu überlegen: Die Benutzung von Messer und Gabel hatte ich vor dem Schreiben gelernt... Ich begann zu recherchieren und ein bisschen was auszuprobieren, z. B. mit der linken Hand zu schreiben. Das Entscheidende war aber das Buch »Der umgeschulte Linkshänder oder der Knoten im Gehirn« von Dr. Johanna Barbara Sattler. Von der Pubertät bis ins Erwachsenenalter hatte ich psychosomatische Probleme. Das hat sich über viele Jahre erstreckt und 90 Prozent meiner Symptome fand ich in diesem Buch aufgelistet. »Das kann ich nicht ignorieren, das ist so eindeutig«, wurde mir klar. Also fing ich selber an, mich zurückzuschulen.



Wer hatte dich damals darauf angesprochen, dass du Linkshänder sein könntest?


Das war meine damalige Schwiegermutter. Sie wusste aber nichts von Frau Dr. Sattler und dass es dieses Buch gibt.



Dass dir aus dieser Generation gesagt wurde, du seist möglicherweise Linkshänder, finde ich beachtlich.


Ja, sehr! Mittlerweile lebt die Schwiegermutter nicht mehr, aber ich gehe davon aus, dass auch sie umgeschulte Linkshänderin war. Während ich das Buch las, wusste ich, dass ich Linkshänder bin. Innerhalb kürzester Zeit konnte ich bereits mit links schreiben. Es ging zwar langsamer, war aber deutlich lesbarer als mit rechts.

Daher ließ ich an mir keinen Händigkeitstest machen, jedoch an meinen Kindern. Anderthalb Jahre dauerte es damals, bis ich einen Termin bei Frau Dr. Sattler für die Testung erhielt und es stellte sich heraus, dass beide Kinder möglicherweise linkshändig sind.



Hast du dein Instrument von Anfang an linksherum gelernt?


Nein. Ich habe mit 15 Jahren das Schlagzeugspiel begonnen. Mein Bruder hatte mir ein bisschen was gezeigt und daraufhin brachte ich es mir die nächsten drei Jahre autodidaktisch bei. Mit 18 Jahren erhielt ich Unterricht und spielte insgesamt 21 Jahre rechtshändig.



Wann hast du umgelernt und weshalb?


Umgelernt habe ich aus dem Grunde, weil ich Linkshänder bin. Nachdem das Schreiben mit links so gut funktionierte, begann ich mich im Bereich des Schlagzeugs zu informieren, denn bis dahin war ich tatsächlich der Ansicht – und da finden sich auch viele andere Schlagzeuger wieder – dass die Händigkeit quasi egal sei, da wir die Stöcke auf die gleiche Art benutzen. Schlagzeuger trainieren die Hände insbesondere auf das gleichmäßige Spiel. Das ist sehr wichtig und insofern war ich zu Beginn ebenfalls der Meinung, Händigkeit spiele da keine Rolle. Nachdem ich aber tiefer recherchierte und überdachte, was ich in all den Jahren gelernt und welche Erfahrungen ich gemacht hatte, kam ich darauf, dass es definitiv nicht so ist: Es gibt eine Führungshand.


Also probierte ich es ein halbes Jahr linksherum, allerdings erstmal nur bei den Händen: »Open-handed« nennt man das. Es gibt einige sehr gute und berühmte Schlagzeuger, die auf diese Art spielen.

Diese Spielweise bedeutet, ich sitze an einem rechtshändig aufgestellten Schlagzeug, welches ich aber mit links führe. Tatsächlich gibt es aber auch Fraktionen von Schlagzeugern, die wirklich mit beiden Händen führen und das auch einüben. Ich habe es aber so gemacht, dass die linke Hand führt. Das alles war zu Beginn einer Konzertsaison und es ging sehr schnell, dass ich mit links führen konnte. Am Aufbau des Instrumentes ändert es kaum etwas, nur das Becken muss auf die andere Seite. Mit den Füßen hatte ich damals aber weiterhin rechtsdominant gespielt.


Am Ende der Konzertsaison entschloss ich mich, auch die Füße am Schlagzeug umzustellen und das war der Durchbruch: Nach dieser Probe saß ich im Auto und mein Körper sagte zu mir: »Danke, dass du die Handbremse jetzt endlich gelöst hast.« Ich spürte mein Blut anders im Körper zirkulieren. Es ist unbeschreiblich, was da passierte! Alles fühlte sich anders an. Und definitiv gut!

Irgendwo merkwürdig, solange umgeschult unterwegs gewesen zu sein...


Nach diesem ersten rechtsfüßig gespielten Probenerlebnis war für mich klar: »Ich werde komplett linkshändig spielen« und seit diesem Zeitpunkt 2003, spiele ich linksherum.



Bitte erzähle uns mehr über deine Herangehensweise und den Umlernprozess. Was sind oder waren für dich die größten Herausforderungen am Umlernen?


Neben dem Training des gleichmäßigen Spiels beider Hände war mein primäres Ziel, mit der linken Hand solide führen zu können. Und tatsächlich ging es sehr schnell, dass ich mit links führen konnte. Die Führungshand ist für das Timing zuständig und durch das Spielen mit der linken Hand als Führungshand habe ich sofort den Effekt gemerkt, dass es besser läuft.


Auch im Alltag achtete ich darauf, bestimmte Dinge mit der linken Hand auszuprobieren: Zähneputzen, das Handhaben von Geräten – das ging alles wunderbar. Und meine Schrift mit links war sofort lesbarer, wie bereits erwähnt. Zum Glück war es aber so, dass ich beruflich damals keine handschriftlichen Tätigkeiten ausführen musste und stand daher nicht unter Druck. Insofern war das eine entspannte Sache.


Spannend war, dass erst ab dem Moment, da ich die Füße am Instrument auf links umstellte, der »Knoten geplatzt« war. Das spürte ich körperlich und emotional ganz deutlich. Auch jegliche Zweifel waren von da an aus der Welt geschafft. Definitiv wusste ich, dass das Linksspielen die richtige Entscheidung war.


Tatsächlich dauerte es zwei Jahre, den linken Fuß so schnell wie früher den rechten Fuß am Schlagzeug betätigen zu können – die Rückschulung der Hände ging wesentlich schneller, aber bis zu den Füßen ist ja auch einiges an gespeichertem Muskelgedächtnis. ;)

Trotzdem gab es insgesamt kaum größere Herausforderungen beim Umlernen, da ich schnell bemerkte, was alles besser lief: Dass ich sogleich entspannter spielte und währenddessen tiefer Luft holen und frei atmen konnte, war ein Geschenk, mit dem ich gar nicht rechnete.

Ein langer Auftritt, bei dem man zwei, drei Stunden am Instrument verbringt, ist tatsächlich wie Fußballspielen. Das ist wirklich kein Quatsch, da gibt’s Untersuchungen: In Großbritannien begleiteten sie über ein Jahr einen Profi-Fußballer und einen Profi Schlagzeuger und maßen alle möglichen körperlichen Werte: Der Umsatz an Körperenergie ist identisch. Fußballer im Einsatz, Schlagzeuger im Einsatz – beide unter Volllast sozusagen. Als ich das mal kontrolliert beobachtete und vor und nach dem Konzert auf die Waage ging, war das schon heftig – also wir reden da von Rock ’n’ Roll, wo ich teilweise bis zu 3500 Gramm Körpergewicht während eines Auftritts verbrannte. Ich habe auch sehr exzessiv gespielt und wir hatten viele Auftritte mit unserer Band. Es war eine wunderbare Zeit.



Peer Oehlschlägel am Linkshänder Schlagzeug


Durch das freiere Atmen kann ich insgesamt entspannter spielen und beim Blattspiel sowieso. Zudem fühle ich die Musik viel intensiver und das permanent: Ich spiele etwas, bin emotional voll dabei und selber gerührt von dem, was dabei rauskommt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich das rechtsspielend auch so erlebte, obwohl ich früher mindestens genauso leidenschaftlich dabei war.


Das zeigt wieder, wie mächtig die Händigkeit ist und auch wie fatal, nicht entsprechend dieser zu leben: Musizieren ist eine solch anspruchsvolle Tätigkeit, weil sie uns auf allen erdenklichen Ebenen fordert und diese Ebenen untereinander koordiniert und exakt aufeinander abgestimmt und eingestimmt sein müssen.

Ich fühle jetzt, was ich produziere und das macht einen Riesenunterschied. Aus meiner Erfahrung von früher würde ich behaupten, dass ich damals zwar motorisch-technisch ziemlich gut spielte, aber lange nicht über das damalige Level hinauskam. Beim wirklichen Musizieren, das ich nun erlebe, werde ich selber zum Instrument.


Es bedeutet nicht nur eine andere Qualität – das ist mehr! Man ist in gewisser Weise losgelöst und gleichzeitig absolut in der Musik – ein gravierender Unterschied zu früher.

Ich halte es für frappierend, wenn Linkshänder behaupten, sie würden rechtsherum sogar besser spielen und es sei für sie ohne Bedeutung, dass sie nicht linkshändig spielen. Wie können sie so etwas behaupten, wo sie den Unterschied überhaupt nicht kennen!


Wenn neue SchülerInnen zu mir kommen, erkundige ich mich als erstes nach der Händigkeit und frage je nach Alter »Mit welcher Hand schreibst du?«, »Mit welcher Hand malst du?« oder »Heb mal die Hand, mit der du am meisten malst/schreibst.«


Es darf nicht sein, dass Musikschulen linkshändig schreibende Kinder auf dem Instrument umschulen. Das geht gar nicht! Aber da muss ich trotzdem für kämpfen. Es ist noch längst keine Selbstverständlichkeit und ich gerate teilweise in haarsträubende Diskussionen.

Ein ehemaliger Kollege reiste als Musiker um die ganze Welt, und als ich mich mit ihm über dieses Thema unterhielt, sagte er, dass man linksherum Musizierende früher öfter gesehen hätte, dies nun aber aufgrund des Konformitätsdrucks wohl leider wieder rückläufig sei... Ich hoffe es nicht!



Woher hast du deine Instrumente?


Ich nehme einfach meine Schlaginstrumente und stelle sie anders herum auf. Es gibt eine einzige Ausnahme: Das Doppel-Fußpedal. Da musste ich ein anderes anschaffen und erkundigte mich, welche Hersteller das anbieten. Das ist das Einzige, das ich gesondert anschaffen musste. Alles andere lässt sich andersrum aufbauen.



Welche kuriosen Erlebnisse hattest du schon mit deiner Spielweise?


Eine Situation gab es, in der ich das Gefühl hatte – und das war ein bisschen spooky – dass mir jemand auf unangenehme Art und Weise auf die Hände schaut. Kurz darauf entglitt mir ein Stock und ich hatte den Verdacht, dass jemand bewusst gesehen hatte »Das ist ein Linkshänder, der spielt linkshändig«, mich penetrant anstarrte und das Linksspielen irgendwie negativ bewertete. Das geschah aber nur dieses eine Mal. Ansonsten wird das vom Publikum kaum wahrgenommen.



Spielst du heute noch rechtsrum und wenn ja, in welchem Kontext?


Es gibt nur eine Situation, in der ich noch ab und zu rechtsherum spiele: In jedem Unterrichtsraum steht ein Linkshänderschlagzeug. Habe ich einen linkshändigen Schüler, so spielt er auf diesem Instrument und ich weiche auf das andere Rechtshänderschlagzeug aus. Ich spiele dann zwar mit den Händen linksführend open-handed, kann aber mit den Füßen nicht linksherum spielen.


Die Frage mit den Instrumenten ist wichtig, denn da höre ich oft von Kollegen: »Ja, wie soll ich das im Unterricht machen? Wie soll ich ein linkshändig spielendes Kind unterrichten, wenn ich rechtsherum spiele?« – Das ist das Simpelste der Welt: Man stelle sich vor, man guckt in einen Spiegel! Fertig ist man damit.


Die Begrifflichkeiten sollten auch angepasst werden: So spreche ich nun mehr von Greif- und Schlaghand, aber nicht mehr von rechter und linker Hand. Meine Schüler weise ich daraufhin, dass ich als Linkshänder linksherum spiele. Ich starte also mit links und wenn mir ein Rechtshänder etwas abguckt, dann spiegelverkehrt. Habe ich eine/n linkshändige/n Schüler/in, dann bitte ich sie oder ihn, sich neben mich zu setzen.



Gibt es noch etwas, das du ergänzen möchtest?


Es gibt nur Vorteile. Wenn man es ganz einfach auf einen Satz, eine Formel bringen will, dann lautet diese: »Linkshändige Schüler spielen linkshändig« und »Instrumentenbauer sollen spiegelverkehrte Instrumente anfertigen«. Fertig aus.


Auch um das mal gleich auszuhebeln, dieses unsinnige Argument, dass Linkshänder angeblich sogar viel besser auf konventionellen Instrumenten unterwegs seien – so ein Blödsinn! Natürlich haben vielleicht manche da tolle Techniken entwickelt, aber im Musikschulbereich, im alltäglichen Unterricht ist das wiederum etwas ganz anderes und eben dort setzt Musikpädagogik an.

Ein sehr positiver Effekt meines Linksspielens ist, dass ich seither keine Probleme mehr beim Blattspiel habe, während ich in jungen Jahren viel Übezeit daran setzte, um in der Bigband zu spielen, wo das Blattspielen das tägliche Brot ist (während man im Popular-Bereich meist ohne Noten unterwegs ist).


Seit ich linksherum spiele – und zwar ziemlich von jetzt auf gleich –, konnte ich problemlos vom Blatt spielen. Jetzt ist mir auch klar, weshalb das nun so gut geht: Als umgeschulter Linkshänder benötigte ich 33 Prozent mehr Energieverbrauch im Gehirn für die gleiche Tätigkeit. Da ist es verständlich, dass nicht genügend Kapazität mehr vorhanden war für Dinge darüber hinaus. Früher musste ich mich sehr auf mein Spielen konzentrieren und konnte währenddessen nicht noch das Notenlesen verarbeiten. Jetzt geht das ohne Probleme.


In jungen Jahren war es auch so, dass je mehr ich geübt hatte, es mir desto schlechter ging: Ich wollte in der Big Band spielen und musste dafür bestimmte Dinge einüben. Das tat ich die ganze Woche über, weil am Wochenende der Auftritt bevorstand. Diesen bewältigte ich zwar gut, war danach aber sehr oft erst einmal krank und musste mich erholen.

Ich würde das durchaus als eine Tortur bezeichnen, denn man arbeitet gegen seinen Körper.

Auch das Improvisieren geht nun leichter als früher. Als ich noch rechtsherum spielte, war ich sehr konzentriert auf mein Spielen. Ich hatte nicht die Kapazitäten, darüber hinaus noch mitzubekommen, was im Gesamtgeschehen passiert: Wie dieses klingt, geschweige denn sich »anfühlt«. Seit ich linksherum spiele, ist für mich selbstverständlich geworden, das Gesamte zu hören und mitzufühlen – definitiv ein anderes Erleben.




Das Gespräch führte Sophia Klinke am 14.09.2023.

Fotos: privat



 

Peer Oehlschlägel hat als umgeschulter Linkshänder 20 Jahre lang rechtshändig Schlagzeug gespielt, seit über 20 Jahren spielt er aber nun linkshändig und damit »richtig herum«.

In bald 25 Jahren hat er über 400 Schüler an Drumset, Percussion, Mallets und Keyboard unterrichtet und dabei immer ein besonderes Augenmerk auf die Händigkeit gelegt.

In jüngeren Jahren war er als rechtsspielender Schlagzeuger in der afrikanischen Musikszene

Hamburgs aktiv. Im hohen Norden Schleswig-Holsteins war er später als linksspielender Schlagzeuger in diversen Jazz-, Rock-’n’-Roll- und Big-Band-Formationen unterwegs, gelegentlich auch klassisch an den Kesselpauken.

Gegenwärtig ist er als Schlagzeuglehrer für die Kreismusikschule Nordfriesland tätig und leitet dort die Zweigstellen auf Sylt und in Niebüll.

 






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