»Am Linkshänderklavier kann sich mein Körper entsprechend seiner Händigkeit entfalten, wodurch sich mein Leben und meine Gesundheit Schritt für Schritt deutlich verbessert haben.«
von Dipl. med. Heidi Schneider
Auf die Frage, wer ich sei, antworte ich gerne mit dem Satz: »Ich bin Heidi mit dem Linkshänderklavier.«
Zur Zeit setze ich mich weltweit für die Verbreitung des Linkshänderklaviers und das Schaffen optimaler Lernbedingungen beim Instrumentalunterricht an Tasteninstrumenten ein. Ich mag es, mir in meinen Lebens- und Lernbereichen gute Bedingungen zu schaffen.
Mein Klavier mit der gespiegelten Tastatur hat seit Mitte letzten Jahres schmalere Tasten, die meiner Handgröße mehr entsprechen als die herkömmliche Tastengröße. Mehr Informationen dazu gibt es auf der Internetplattform pask.
Das Linkshänderklavier hat die Firma Blüthner im Winter 2013 für mich gebaut. Es hat die Bässe auf der rechten Seite und den Diskant auf der linken. Also optimal, wenn man als Linkshänder das Klavierspiel beginnt, was bei mir damals nicht möglich war. Ich wusste bis zu meinem 50. Lebensjahr gar nicht, dass ich Linkshänderin bin, und damals, als ich Mitte der 70er-Jahre mit dem Klavierspiel begann, gab es ohnehin keine Linkshänderklaviere zu kaufen.
Ich bin in diesem Jahr 60 geworden und habe das große Glück, seit etwa zehn Jahren mit der gespiegelten Tastatur Erfahrungen machen zu dürfen. Für mich war das Finden des Linkshänderklavieres wie eine zweite Grenzöffnung in meinem Leben – kein Wunder, kam die elektronische Variante davon am 9. November 2012 in meine Wohnung.
In meiner Jugend habe ich an der Friedrich-Schiller-Universität Jena eine ärztliche Ausbildung durchlaufen. Krankheitsursachenforschung und die Ursachen von Lernstörungen haben mich über 30 Jahre sehr fasziniert und ich habe mich gründlich damit beschäftigt. Nur wenn man echte Krankheitsursachen beseitigt, ist dauerhafte Heilung möglich.
Als nicht erkannte Linkshänderin habe ich bis zum 50. Lebensjahr alles mit der rechten Hand als Bewegungshand und der linken als Haltehand erledigt, so wie das in unserer Gesellschaft zu einem hohen Prozentsatz derzeit üblich ist.
Erst über die Beobachtung meiner Klavierschüler und beim Lesen des Buches von Frau Dr. Barbara Sattler »Der umgeschulte Linkshänder oder der Knoten im Gehirn« konnte ich meine Linkshändigkeit wahrnehmen und mir anschließend überlegen, wie ich damit umgehe – ein extrem schmerzhafter Prozess.
Umtrainieren von Alltagsbewegungen, die routinemäßig gut funktionieren, ist mir nicht wirklich gelungen. Aber am Klavier ist es so, dass mein Körper entsprechend seiner Händigkeit leben kann und sich dadurch mein Leben und meine Gesundheit Schritt für Schritt deutlich verbessert haben.
Jede Klavierspielerin oder jeder Klavierspieler, mit denen mir Austausch über die gespiegelte Klaviatur möglich war und die das über längere Zeit ernsthaft angewendet haben, hätten sich gewünscht, dieses Klavier deutlich früher zur Verfügung gehabt zu haben.
Géza Losó und Christopher Seed sind seit Jahren die Vorreiter und Wegbereiter auf diesem Gebiet. Aber auch schon zu Franz Liszts Zeit existierten Flügel mit einer gespiegelten Klaviatur: In Brüssel im Instrumentenmuseum steht ein solches »Mangeot-Piano«, bei dem man zwei verschiedene Tastaturen gleichzeitig spielen kann. Die übliche Tastatur ist unten und die gespiegelte oben drüber. Ich habe dieses phänomenale Instrument vor Kurzem ausprobieren können und es war ein faszinierendes Erlebnis.
Wie wirkt das Klavier mit der gespiegelten Tastatur auf den Körper? Meine eigenen Erfahrungen sind bis auf minimale Verwechslungen in der Anfangsphase, die aber komplett verschwunden sind, durchweg positiv: Dieses Klavier schafft eine höhere Flexibilität im Gehirn und irgendwie stabilere Synapsen für schnelle Bewegungsabläufe, die mir ohne dieses Instrument nie gelungen wären. Meine erheblichen Gehör- und Rhythmusprobleme, die über 40 Jahre bestanden haben, sind in den letzten zehn Jahren mit der Benutzung des Linkshänderklaviers komplett verschwunden.
Allerdings darf man die Erfolge nicht zu früh erwarten. Eine gewisse Ausdauer gehört dazu, wenn man sich als Linkshänder von dem herkömmlichen Klavier auf das gespiegelte umstellt. Es ist in einer gewissen Art so, wie wenn man ein Instrument neu lernt, aber auf eine deutlich einfachere und bessere Art und Weise. Und ein Instrument zu lernen, dauert einfach.
Von daher ist es ganz besonders wichtig, beim Instrumentalunterricht mit dem richtigen Instrument – der Händigkeit des Schülers entsprechend – zu starten.
Ich möchte allen Klavierpädagogen und anderen Tastenkünstlern die Angst nehmen, dieses Instrument auszuprobieren. Es schafft einfach neue Möglichkeiten. Auch zum Ausprobieren neuer Klänge und zum Komponieren geradezu fantastisch!
Ein Linkshänderklavier macht am Körper nichts kaputt. Auch wenn ein Rechtshänder mal kurzzeitig darauf spielt, zieht der sich keinen Schaden zu. Die Hirnflexibilität nimmt trotzdem zu. Und das kommt jedem zugute.
Bei mir hat sich das Klavierspiel an beiden Klavieren in den letzten Jahren deutlich verbessert. Obwohl ich zehn Jahre keine Hilfe hatte. Seit Mai dieses Jahres erhalte ich professionellen Unterricht an einem elektronischen Klavier der Firma Blüthner mit gespiegelter Klaviatur. Ich bin sehr neugierig, wie der intensive und sehr inspirierende Prozess mit meiner Klavierprofessorin weiter verläuft.
Es ist geplant, linkshändige Kinder von Anfang an am gespiegelten Klavier zu unterrichten, ihren Lernprozess zu erfassen und ein Forschungsprojekt zu entwickeln.
Wenn ich zuhause Menschen unterschiedlichsten Alters vom Kleinkind bis zur Rentnerin, die vorher noch kein Klavier gespielt hatten, meine Klaviere (das rechts- und das linkshändige) ausprobieren lasse und sie danach frage, welches für sie geeigneter ist, so entscheiden sich alle für das jeweils ihrer Händigkeit entsprechende Klavier! Und das komplett ohne Vorkenntnisse – einfach nach Intuition.
Es wäre fantastisch, wenn die Vision Realität werden würde, dass an allen Musikschulen und weiterführenden musikalischen Bildungseinrichtungen die Menschen die Möglichkeit hätten, beide Klaviere auszuprobieren und Klavierunterricht entsprechend ihrer Händigkeit und Handgröße zu erhalten.
Es wäre auch wünschenswert, dass das Ausprobieren in Musikgeschäften und Klavierhäusern möglich wird. Auch in die Konzertsäle gehören Flügel mit gespiegelter Klaviatur und verschiedenen Tastaturgrößen.
Wenn man heute mal die Ausstattung für diese Einrichtungen durchrechnet, dann wird das für Klavierhersteller ein recht lukratives Geschäft. Eine Sonderstellung hat das Klaviers ja dadurch, dass man es in der Einrichtung, wo man das Instrument lernen möchte, und zuhause braucht, da man ein Klavier nicht wie eine Geige unter den Arm klemmen und mitnehmen kann.
Es wäre natürlich hilfreich, ernsthaft zu wissen, wie die Händigkeitsverteilung in der Bevölkerung genetisch aufgeteilt ist. 10 % Linkshänder, halte ich für deutlich zu wenig. Aber selbst wenn man die minimalen Zahlen hochrechnet, ist der echte Bedarf hoch:
Im Verband Deutscher Musikschulen (VdM) waren im Jahr 2019 etwas mehr als 163.000 Schüler für das Fach Klavier angemeldet, schreiben das Deutsche Musikinformationszentrum und der VdM. Insgesamt gibt es in Deutschland noch mehr Klavierschüler, weil es ja auch privaten Unterricht gibt und nicht alle Einrichtungen im VdM sind. Aber schon bei dieser Zahl haben wir bei 10% Linkshändern mehr als 16.300 Betroffene, die am gespiegelten Instrument einfacher, schneller und gesünder lernen könnten.
Auch wenn es Linkshänder gibt, die sehr gut am Rechtshänder-Instrument spielen können, gibt es auch Kinder, die das Klavierspiel einfach überhaupt nicht lernen können, weil das Instrument ihrer Händigkeit nicht entspricht. Das ist sehr traurig, wenn sie ernsthaft den Wunsch haben, Klavier zu spielen. Das Klavier ist ein höchst komplexes, faszinierendes Instrument.
Es gibt zwar immer wieder Interessenten, die dem Phänomen der Händigkeit nachgehen, aber meiner Meinung nach ist es insgesamt noch unzureichend erforscht. Wenn man wüsste, wie Händigkeit vererbt wird, so wie man es zum Beispiel bei den Blutgruppen, bei bestimmten Erkrankungen oder der Augenfarbe weiß, dann würde man auch die Häufigkeit in der Verteilung von Rechtshändern, Linkshändern und die Existenz oder Nichtexistenz von Beidhändern konkretisieren können. Dann könnten sich die Instrumentenhersteller an diesen Zahlen orientieren.
Es würde viel Sinn machen und vielen großes Leid ersparen, wenn für Linkshänder genau die gleichen Lernbedingungen geschaffen würden, wie sie für Rechtshänder schon längst existieren.
Deshalb: Händigkeitsgerechter Instrumentalunterricht ist Gesundheitsprophylaxe, egal, in welchem Alter man startet. Diese Form des Unterrichts sollte weltweit ihre Anwendung in der Praxis finden.
Neuigkeiten über erfolgreiches Lernen an Tasteninstrumenten mit der gespiegelten Klaviatur werden zeitnah hier im Blog der Seite »Linksgespielt« zu lesen sein. Über die heute noch recht komplizierte und oft teure Beschaffung von Linkshänderinstrumenten wird dort aktuell informiert.
Traut euch, probiert es aus, das Klavier mit den mirror keys!
Dann können wir sagen:
»Wir verbreiten in kürzester Zeit
gesundes Musizieren weltweit.«
Fotos: privat
Heidi Schneiders Vortrag zum Linkshänderklavier beim Symposium »Body, Mind & Music« der Österreichischen Gesellschaft für Musik und Medizin 2024 in Wien (externer Link zu YouTube):