top of page

Musikstudium mit links – Rechtshänderin Anne Kahl spielt die Geige ‚andersrum‘

Autorenbild: LinksgespieltLinksgespielt

Im Interview mit Sophia Klinke am 26.04.2024


Linkshändergeige auf einem quietschgelben Kunstoffstuhl

Wie beschreibst du deine Händigkeit?


Ich bin Rechtshänderin und mit einer Verwachsung an der linken Hand zur Welt gekommen.

Mit fünf Jahren wurde der Zeigefinger der linken Hand dorthin operiert, wo normalerweise der Daumen gewesen wäre. Ich ging viel zur Krankengymnastik und es dauerte lange, bis der neue „Zeigefinger-Daumen“ seine Täitgkeiten einigermaßen beherrschte. Zwei Jahre später, im Alter von sieben, brauchte es eine zweite Operation, bei der eine Sehne aus dem Ringfinger entnommen und in den „Zeigefinger-Daumen“ hinein operiert wurde – danach konnte ich erst richtig greifen. Dennoch ist es relativ grobmotorisch und längst nicht so fein wie mit rechts.

Weil ich Rechtshänderin bin, die linke Hand also von Natur aus schwächer und mit nur vier Fingern auch schmaler ist, hat sie es schwerer aufgrund der gewissen Instabilität.



Hast du dein Instrument von Anfang an linksrum gelernt?


Ja. Ich sollte ein Musikinstrument lernen und wollte dies auch. Meine Eltern fragten, welches Instrument ich denn gerne spielen möchte. Wie aus der Pistole geschossen sagte ich, dass ich Geige lernen wolle. Sie kamen kurz ins Grübeln und fragten sich, wie das am besten anzugehen wäre, da das konventionelle Geigenspiel aufgrund des fehlenden Fingers auf dem Griffbrett nicht möglich gewesen wäre.

Auf einer Geburtstagsfeier kurz darauf lernten meine Eltern meine zukünftige Geigenlehrerin Heike Trimpert kennen, die direkt von sich aus anbot, mir das invertierte Geigenspiel beizubringen.

Mit sieben Jahren, kurz vor der zweiten Operation, begann ich also das Geigenspiel linksherum. Anfangs hatte ich noch eine maßgefertigte Schiene, mit der ich den Bogen in der richtigen Position halten konnte. Nach der zweiten Operation brauchte ich diese Schiene nicht mehr, ging aber weiterhin regelmäßig zur Krankengymnastik, um die Muskeln zu trainieren.



Gab es von irgendeiner Seite Vorbehalte?


Es gab Überlegungen, ob das Geigenspiel für mich denn überhaupt möglich sei, denn das „Linksspielen“ war damals ja ganz neu. 1996 habe ich es begonnen und war damals in meinem Umfeld weit und breit die Einzige, die so herum spielte. Es gab aber niemanden, der etwas dagegen hatte.



Woher hast du deine Instrumente?


Meine erste Geige war eine 1/2-Rechtshändergeige, auf der nur die Saiten andersherum (wie bei einer Linkshändergeige) aufgezogen wurden. Kurz darauf erhielt ich aber schon eine 3/4-Geige, die als Linkshänderinstrument von Antonio Menzel in Flensburg für mich gebaut wurde. Meine 4/4-Linkshändergeige hat er später auch gebaut und auf ihr spiele ich seither.



Spielst du im Orchester? Wenn ja, was sind dabei deine Erfahrungen bezüglich der Seitigkeit?


Heute spiele ich nicht mehr im Orchester, aber als Jugendliche spielte ich im Landesjugendorchester Schleswig-Holstein und während des Studiums in verschiedenen Orchesterprojekten. Meist saß ich auf der rechten Seite des Pults, sodass sich die Bögen unten an den Fröschen trafen. Platztechnisch gab es nie Probleme. Bei einem Orchesterprojekt in der Hochschule war ich sogar Konzertmeisterin, was eine interessante und schöne Erfahrung war, da ich linksspielend immer zum Orchester schauen konnte und somit einen sehr innigen Kontakt zu ihm hatte, was super ist.



Welche kuriosen Erlebnisse hattest du schon mit deiner Spielweise?


Im Prinzip keine. Etwas kurios finde ich allerdings, dass ich, bis ich auf „Linksgespielt“ traf, mehr oder weniger in dem Glauben war, die einzige mit dieser Spielweise zu sein. Das finde ich nun schon erstaunlich und erfreulich zu sehen, dass es doch so viele Linksspielende gibt!



Gab es auch mal negative Reaktionen auf dein Linksspielen?


Ja, an eine Situation kann ich mich erinnern. Mein Vater besuchte eines unserer Konzerte des Landesjugendorchesters Schleswig-Holstein. In der Pause bekam er mit, wie sich einige darüber unterhielten, dass eine Linkshänderin im Orchester säße und es doch unerhört sei, linksherum zu streichen.

Damals war das Linksspielen – ob nun aufgrund von Linkshändigkeit oder verletzungsbedingt – eben noch nicht sehr verbreitet. Ich bin aber froh zu sehen, dass sich dies zunehmend ändert.



Siehst du für dich Vorteile darin, andersherum zu spielen?


Insofern natürlich, als ich sonst gar nicht erst Geige spielen können würde. Ich hatte einfach das Glück, direkt an die richtigen Leute geraten zu sein und dafür bin ich sehr dankbar.




 

Anne Kahl, geb. Renner, erhielt im Alter von sieben Jahren ihren ersten Geigenunterricht und mit neun Jahren ihren ersten Klavierunterricht. In ihrer Schulzeit spielte sie in verschiedenen Orchestern wie dem Holsteinischen Kammerorchester oder dem Landesjungendorchester Schleswig-Holstein. 2007 begann sie an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover den fächerübergreifenden Bachelorstudiengang mit Hauptfach Violine [bei Prof. Elfriede Stahmer, die wir hier zu händigkeitsgerechtem Geigenspiel interviewten] und Zweitfach Deutsch mit dem Ziel, Lehrerin zu werden. Außerdem leitete sie während des Studiums verschiedene Chöre. Schließlich studierte sie nach dem Bachelor den Master in künstlerisch-pädagogischer Ausbildung mit Schwerpunkt Chor- und Ensembleleitung. Heute ist sie überzeugte Grundschullehrerin in Hannover.

 


Titelbild: Symbolfoto/Linksgespielt

bottom of page