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Die linkshändige Geigenbauerin – Helen Layer setzt sich für mehr händigkeitsgerechte Instrumente ein

Kommentare wie »Du spielst linksherum? Da kannst du ja gar keine ›guten‹ Instrumente anspielen!« motivieren mich dazu, genau das zu schaffen. Nur eben mit links.

Wie beschreibst du deine Händigkeit?


Die linke Seite ist meine dominante. Ich bin linkshändig, linksäugig – beim Kicken jedoch eher beidfüßig (Standbein/Spielbein). Schon immer konnte ich diese Natur ausleben und auf jeden Fall habe ich mich auch irgendwie an die rechtshändig dominierte Welt angepasst. Die Computermaus bediene ich zum Beispiel mit der rechten Hand. Schneiden tue ich linkshändig mit rechtshändigen Scheren, was dazu führt, dass nach einer Weile die Klingen auseinander gedrückt werden. Ich muss also immer ein bisschen mit dem Daumen und den anderen Fingern ›gegenlenken‹. Beim Zeichnen einer Linie mit dem Lineal ziehe ich den Strich immer von der Maßzahl aus nach links zurück zu Null. So wird der Stift gezogen und nicht gedrückt.

Handschriften habe ich zwei: Eine, bei der ich den Stift unterhalb der zu beschreibenden Zeile halte – dann kippt die Schrift eher nach links– und die andere, meine Schönschrift, schreibe ich, indem sich meine Hand über der zu beschreibenden Zeile befindet. Die Schrift kippt dann schön ins Rechtskursive.

Blöcke nutze ich gern andersherum, sodass der Falz rechts ist und nicht unter meinem Handballen. Auch gelingt es mir recht leicht, mit zwei Händen gleichzeitig voneinander weg zu schreiben. So schreibe ich dann mit links gespiegelt von rechts nach links und mit rechts ›lesbar‹ von links nach rechts.

In meiner Vergangenheit habe ich 18 Jahre lang klassisches Ballett getanzt und würde sagen, dass das rechte mein sichereres Standbein ist.


Bei all dem fühle ich mich dennoch manchmal als Sonderling, was mich manchmal verunsichert – aber gleichzeitig auch freut, sobald ich einen Menschen treffe, der auch linkshändig ist. Eine Zeit lang lebte ich in einer 4er-WG, in der es dazu kam, dass drei von uns linkshändig waren. Ohne dass wir alle vorher davon wussten. Das fühlte sich irgendwie klasse an.



Inwiefern spielt die Händigkeit in deiner Ausbildung zur Geigenbauerin eine Rolle?


Sicherlich merke ich nicht, dass alle Maschinen auf rechts ausgerichtet sind – was mich somit auch nicht sonderlich beeinflusst. Tollerweise wird unser Gewerk hauptsächlich manuell ausgeführt, was bedeutet, dass die Wege und Möglichkeiten, die zwischen Werkstück und Händigkeit liegen, sehr variabel sind.

Das einzige kleine Hindernis, an das ich bisher stieß, ist, dass ich nicht wirklich nachvollziehen kann, ob ich Halsgriff und Griffbrett [am rechtshändigen Instrument] passend und angenehm verarbeitet habe oder ob sich beim Lagenwechsel beispielsweise der Halsfuß oder das Zäpfchen zu voll anfühlen… Auf jeden Fall gibt es dafür aber auch genaue Maßangaben und auch lässt sich dieser Bereich gut nacharbeiten, da er sowieso oft sehr individuell wahrgenommen wird.

Auch muss ich immer noch doppelt überlegen, welche natürlichen Gebrauchsspuren bei einem rechtshändigen Instrument entstehen. Dieser Schritt ist wichtig, um beim Antiquisieren authentische Lackabnutzung usw. zu imitieren. Sicherlich hat sich dieser momentane Ist-Stand nach ein paar kleinen Jahren des Geigenbauens verflüchtigt.

Umgeben bin ich in der Ausbildung ausschließlich von rechtshändigen Instrumenten, was mich dazu bringt, diese auch anzuspielen. Immer mit links.

Ich habe zwei Monate (mit links) auf der rechtshändigen Bratsche meiner Mitbewohnerin geübt, was sehr viel Spaß gemacht hat. Die Herausforderung des Umdenkens macht mich glücklich, da ich Lust habe, alle Instrumente gut anspielen zu können und ein Gefühl dafür zu entwickeln. Kommentare wie »Du spielst linksherum? Da kannst du ja gar keine ›guten‹ Instrumente anspielen!« motivieren mich dazu, genau das zu schaffen. Nur eben mit links.


Was manchmal wirklich lieb ist, sind die Bemühungen unserer Meisterin und unseres Meisters, die beim Erklären neuer Arbeitsschritte dann manchmal versuchen, die Bewegungen linksherum zu demonstrieren, was meistens für alle Beteiligten eher verwirrend ist. Dies bringt mich zu dem Schluss, dass das Gehirn beim Zuschauen automatisch gleichzeitig versteht und auf den eigenen

Bewegungsapparat adaptiert. Wie toll!


Welche Instrumente spielst du? Hast du diese von Anfang an ›linksrum‹ gelernt?


Ich bin sehr interessiert und spiele (oder probiere mich wenn möglich an) Bratsche, Gitarre, Klavier, Tin Whistle, Maultrommel, Concertina, Schlagzeug usw.

In der Schulzeit nahm ich die rechtshändige Gitarre unseres Vaters linksherum und spielte andersrum-spiegelverkehrt – prägte mir die Akkordgriffe also von unten nach oben ein. Nach einer Weile bekam ich dann eine linkshändige Gitarre. Heute kann ich auf beiden Ausführungen spielen – jedoch auf jeden Fall immer linksherum.


Vor fünf Jahren begann ich mit Bratsche, ohne vorher einen direkten Zugang zu einem Streichinstrument gehabt zu haben. Geige und Cello von befreundeten Menschen nahm ich beim Ausprobieren automatisch gleich linksherum. Die unpassende Stegneigung hat dabei immer gestört.

Ich spielte die ganze Zeit auf einer linkshändigen Leihbratsche und hatte von Beginn an Unterricht bei einem Masterstudenten der HMT Leipzig, der es interessant und fremd fand, aber verstand, dass ich rasche Fortschritte machte in Bogentechnik und Körperhaltung. Auch war es toll zu merken, dass er und ich uns beim Gegenüberstehen einfach spiegelten und er mir nicht so viel erklären musste – ich einfach ablesen konnte, was er tat.


Woher hast du deine Instrumente?


Vom Streichinstrumenten-Verleih Berndt & Marx in Chemnitz. Dort werden verschiedene linksgerechte Möglichkeiten angeboten. Ich hatte vier Jahre lang eine Leihbratsche von dort, bis ich mir in meiner Ausbildung zur Geigenbauerin meine eigene gebaut habe.



Helen hält strahlend ihre frisch gebaute Bratsche in die Kamera
Helen Layer mit ihrer noch unlackierten Linkshänderviola (Foto: privat)


Welche Rolle spielen Linkshänderinstrumente in der Geigenbau-Ausbildung? Wie nimmst du die Haltung dazu in Geigenbaukreisen wahr?


Fast alle Geigenbaumenschen, die ich bisher getroffen habe, sprach ich auf dieses Thema an. Ob sie beispielsweise schon einmal ein solches Instrument in der Werkstatt hatten oder eines gebaut haben. Der Instrumentenverleih erzählte mir, dass sie das anfängliche linkshändige Angebot wegen sehr geringer Nachfrage heruntergeschraubt haben.

Von Instrumentenbauer:innen habe ich schon die gesamte Bandbreite der Trugschluss-Argumentationen erfahren, die es so gibt und die viele andere Menschen und Lehrerende auch noch im Verständnis haben: »Die linke Hand kann dann doch viel besser greifen« etc.


Siehst du Vorteile darin, ›andersherum‹ zu spielen?


Bauchgefühl und Neigungen und natürliche Veranlagungen sind menschlich. Ich bin total für

Menschlichkeit. Genau da sollten wir uns alle treffen, austauschen und unterstützen.


Was planst du und wünscht du dir für die Zukunft?


Austausch, Verbindung, Zufälle und Wachstum. Ich wünsche mir ein Ausbrechen aus der Norm und auch ein Pflegen von Normen, für die, die das mögen. Ich wünsche mir Projekte und Aktionen und eine Reichweite und ein ordentliches Arbeiten. Denn ich glaube daran, dass in uns allen echt tolle Dinge stecken, wenn das viele Drum-herum aufhört, so laut zu sein.



Helen Sophia Layer // Instagram: @geigenbau_layer

Stand: 26.03.2023


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