Im späten 18. und 19. Jahrhundert haben wir mehrere Hinweise auf linkes Streichen in der Kindheit. Die Beobachtung, dass linkshändige Kinder den Bogen intuitiv oft in die linke Hand nehmen, ist wohl kein neues Phänomen:
Der Musikschriftsteller Johann Friedrich Reichardt klagt über Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788): Seine „Orchesterkompositionen zeugen überall von einigem Mangel an genauer Kenntnis der Streich- und Blasinstrumente, woran die verkehrte Art, mit der er, der von Natur links war, einige der ersteren in der Jugend getrieben hatte, wohl zum Teil Schuld sein mag“. Das klingt, als habe der kleine Carl Philipp in einem Elternhaus voller Instrumente gelegentlich zur Geige oder ähnlichem gegriffen. Vielleicht die Erwachsenen nachahmend und zunächst ohne spezifischen Unterricht – und offensichtlich mit dem Bogen in der Linken. Wie damals üblich, war das Streichinstrumentenspiel bestimmt auch Teil seiner musikalischen Ausbildung. Aber ob er dies immer noch mit links bestritt, ist unbekannt. Auch ein öffentlicher Auftritt als Geiger ist nicht belegt.
C. Ph. E. Bach gemalt von Nicolaus Ephraim Bach, ca. 1733
Foto: Bachhaus Eisenach, CC BY-SA 3.0
Über den englischen Musiker William Crotch (1775–1847) wissen wir, dass er im Alter von fünf Jahren (und vermutlich schon davor) auf einer linkshändig gespielten Geige Konzerte gab. Zunächst spielte er mit links auf einer konventionellen Geige, bevor er ein umbesaitetes Instrument bekam [1]. Wie Carl Philipp Emanuel Bach war Crotch offenbar Linkshänder. Jedenfalls soll er anfangs mit links gemalt und gezeichnet haben. Im Alter von acht Jahren schrieb er laut Rennert genauso flüssig mit der rechten wie mit der linken Hand.
In dieselbe Kategorie fällt der englische Flötist Robert Sidney Pratten (1824–1868). Der soll sich als Kind unter anderem Flöte, Klavier und Bratsche selbst beigebracht haben. Die Flöte hielt er auf die konventionelle Art nach rechts. Bratsche habe er allerdings linkshändig gespielt [2]. Über seine Händigkeit können wir höchstens spekulieren.
Ab dem späten 19. Jahrhundert werden die Quellen konkreter und offenbaren einige Personen, die nach einer Verletzung an der linken Hand umgelernt haben.
Richard Barth (1850–1923) beschreibt in seiner Lebensgeschichte, wie er sich sich als Dreijähriger die Sehnen des linken Mittelfingers beim Sturz mit einer Porzellantasse durchschnitt. Er konnte schon „kleine Stückchen“ auf der Geige spielen, als der Unfall die beiden oberen Gelenke dieses Fingers versteifte. Weil ihm das Greifen mit links nun nicht mehr möglich war, kam sein Großvater auf die Idee, die Geige umzubesaiten und mit rechts zu greifen. Der Umlernprozess ging schnell vonstatten. Mit siebzehn Jahren wurde er als Konzertmeister nach Münster geholt und bekleidete damit seine erste von mehreren Orchesterstellen. Vermutlich ist Richard Barth das erste linksstreichende Mitglied eines Sinfonieorchesters, von dem wir heute wissen. Komplikationen durch seine Spielweise erwähnt er in seiner Lebensgeschichte keine.
Auch Rudolf Kolisch (1896–1978) sah sich nach einer Verletzung in der Kindheit gezwungen, die Geige in die andere Hand zu nehmen. Laut dem Lexikon verfolgter Musikerinnen und Musiker der NS-Zeit war er damals neun Jahre alt und hatte seit etwa vier Jahren Geige gelernt [3]. Sein berufliches Leben widmete er überwiegend dem Quartettspielen. Er saß als erster Geiger vorne links, dem zweiten gegenüber, sodass beide Geigen dem Publikum zugewandt waren. Die Stelle des Konzertmeisters bei den Berliner Philharmonikern blieb Kolisch angeblich wegen seiner „Verkehrtheit“, die im Orchester Konfusion anrichten könne, verwehrt. Er selbst schreibt dazu allerdings, er habe gehört, dass die Dirigenten eher aus Angst vor ihm den Posten anderweitig besetzt haben und nicht wegen seiner Spielrichtung. Schon 1939, als das Kolisch-Quartett vor der Auflösung stand und die Überlegung aufkam, geschlossen in ein Orchester zu gehen, äußerte Kolisch Bedenken, dass er in einem Orchester spielen könnte [4]. Ob diese Aussage mit seiner Spielrichtung zusammenhängt, geht nicht daraus hervor. Kolisch spielte 1935 die »Mlynarski«-Stradivari von 1718, die für sein linkshändiges Spiel umgebaut und ein paar Jahre später für den Nachbesitzer wieder zurückgebaut wurde.
Der nächste Kandidat fällt aus der Reihe, da er nicht verletzungsbedingt umlernen musste und auch nicht professionell musizierte: Charles „Charlie“ Chaplin (1889–1977). Durch Auftritte als linksstreichender Musiker in seinen Filmen hat er dieser Spielweise eindeutig zu größerer Bekanntheit verholfen. Chaplin spielte auf einer Geige, die bezüglich Saiten, Bassbalken und Stimmstock für linksseitiges Spiel eingerichtet war. Sein Ziel sei es gewesen, Konzertmusiker zu werden, wobei er irgendwann eingesehen habe, das erforderliche Niveau nicht erreichen zu können. Seiner Biographin Milton zufolge war Chaplin Linkshänder. Dass er schon mit zwölf Jahren die Schule verlassen hat, könnte dem natürlichen Verhältnis zu seiner Händigkeit zugute gekommen sein [5].
Rivka Mandelkern (geb. Iventosch, 1916–2004) US-amerikanische Geigerin, die wie Barth und Kolisch verletzungsbedingt mit der linken Hand strich – wenn auch ohne Umlernprozess. Als Dreijährige musste ihr linker Zeigefinger nach einem infizierten Schnitt teilweise amputiert werden. Dennoch konnte sie mit elf Jahren den dringenden Wunsch durchsetzen, Geige zu lernen. Sie beschließt, aufgrund ihres Handicaps mit links zu streichen. „Das Beste, was du erwarten kannst, ist, ein paar einfache Melodien schlecht zu spielen“, soll ihr Lehrer prophezeit haben. Ob diese Aussage Mandelkerns Rechtshändigkeit oder der unkonventionellen Spielweise geschuldet war, ist unklar. Drei Jahre später gewann sie einen großen Wettbewerb. Es folgten ein Studium an der Juilliard School und eine Karriere als Solistin und Kammermusikerin. In der Presse wird ihre besondere Spielweise stets hervorgehoben. Als „einzige linkshändige Geigerin der Welt“ bekommt sie viel Anerkennung und Bewunderung. Gelegentlich auch Irritation durch den ungewohnten Anblick. Ab ca. 1954 spielte sie in den ersten Geigen des Buffalo Philharmonic Orchestras. Zunächst in letzter Reihe, dann vorne direkt hinter dem Konzertmeister. Ihrer Tochter zufolge musste Mandelkern durch ihre Spielweise immer außen sitzen und erlebte auch zeitweise Diskriminierung wegen der Optik [6]. Dass sie als Linksspielerin ins Orchester integrierbar war, belegen Mandelkerns fast 30-jährige Tätigkeit im BPO und ihre offenkundige Beliebtheit bei der Presse als „ungewöhnlichste Geigerin“ des Orchesters.
Sowohl Mandelkern als auch Barth und Kolisch spielten alte italienische Meistergeigen, umgebaut für linksseitiges Spiel.
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Literaturnachweise:
[1] Rennert, Jonathan: William Crotch (1775-1847). Composer, artist, teacher. Lavenham (England) 1975.
[2] Rockstro, Richard Shepherd: A treatise on the construction, the history and the practice of the flute including a sketch of the elements of acoustics and critical notices of sixty celebrated flute-players. Revise ed. London 1928.
[3] Sophie Fetthauer: Rudolf Kolisch, in: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen (Hg.), Hamburg: Universität Hamburg, 2006 (https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00001294).
[4] Zenck, Claudia: 'Was sonst kann ein Mensch denn machen, als Quartett zu spielen?'. Rudolf Kolisch und seine Quartette. Versuch einer Chronik der Jahre 1921-1944. In: Österreichische Musikzeitschrift 53 (1998), Nr. 11. S. 8–57.
[5] Chaplin, Charles: My autobiography. New York 1964.
Milton, Joyce: Tramp. The life of Charlie Chaplin. New York 1996.
Chaplin, Charles; Danehl, Günther: Die Geschichte meines Lebens. Ungekürzte, um einen Bildteil erw. Ausg. Frankfurt am Main 1998.
[6] Thomson, Ryan J.: Playing violin and fiddle left handed. 1. Aufl. Newmarket 2003.